Der Kalte
schaute auf die Tischplatte vor sich, konnte keine Notiz vom Gespräch der beiden mehr nehmen, sondern war wie von einer Nebelschwade umgeben. Hie und da allerdings schreckte er auf, um einen neuen Calvados zu ordern. Links und rechts hatten sich inzwischen einige Stammgäste niedergelassen. Sie begrüßten erfreut Tobias Malach, den sie in all den Jahren bestenfalls ein Mal im Sommer, wenn er auf Heimaturlaub war, gesehen hatten. Tschonkovits hatte genug getrunken und beschloss mit seiner düsteren Stimmung, die ihn auch hier im Lokal nicht verlassen mochte, aufzubrechen und schlechterdings heimzugehen.
»Ganz versteh ich nicht«, sagte plötzlich Malach, »warum du dem Doktor Wais unbedingt was anhängen willst. Das ist doch ein tadelloser Österreicher, der auf zugegebenermaßen etwas angeberische Art zu den übrigen Österreichern passt, auch zu mir. Persönlich ist er bescheiden, mit den Größen der Welt auf Du und Du, grad richtig für unser kleines bescheidenes Land.«
Tschonkovits warf einen raschen Blick in Malachs Gesicht, ob sich dort etwa ein Zug von Ironie oder Spott finden könnte, doch Malach war nicht nur wegen seiner Höflichkeit bekannt, sondern auch wegen seiner Naivität.
»Der Hansl war noch nie bescheiden«, sagte der Herr von
gegenüber, als sei er soeben aufgewacht und hätte die letzten Sätze der Unterhaltung aufgeschnappt. Alle schauten ihn an.
»Achso«, sagte er. »Ich bin mit ihm in die Mittelschule gegangen. In Klosterneuburg, ja, in Klosterneuburg. Auch nachher haben wir uns noch getroffen, ich bin Jurist, gestatten: Doktor Nekula.« Er stand auf, nickte und setzte sich wieder.
»Sehr ehrgeizig war er immer, der Hansl. Nicht bescheiden, ehrgeizig. Schon auch bescheiden, aber vor allem ehrgeizig. Und arrogant. Nach dem Krieg haben wir uns noch öfters getroffen, aber seit er Außenminister worden ist, war ich für ihn gar nicht mehr vorhanden. Gehört sich das für einen Schulfreund und Kriegskameraden? Hä? Da oben mit der Nasen?«
»Sie waren mit ihm in Russland?«, fragte Tschonkovits.
»I wo. Noch ein Calvados.« Nekula riss jäh das Maul auf und gähnte derart, dass der ihn anstarrende Tschonkovits glaubte, es bliebe stecken. Nekula schob sich die Hand vor den Mund, klappte ihn zu. »Entschuldigen Sie. Was haben Sie wissen wollen?«
»Nichts«, sagte Tschonkovits und erhob sich. »Hat mich gefreut, Tobias.« Er nickte den anderen zu, doch bevor er den Tisch verließ, fiel ihm ein, dass er noch zahlen musste. Er stand neben dem betrunkenen Juristen und rief den Kellner. Nekula äugte zu ihm hinauf und brummte:
»In Tirana war ich mit ihm. Ein halbes Jahr in dem Drecknest. Und in Priština. Ein noch ärgeres Drecknest.«
»Wie?« Tschonkovits wurde nüchtern. »Was?«
»Da schauts, meine Herrn«, rief Nekula und fuhr mit beträchtlichem Zungenschlag fort: »Kriegskameraden, aber jetzt die Nasen da oben.« Und er schob sich mit dem Finger auf der Nase den Schädel in sein Genick.
Tschonkovits setzte sich neben ihn, bestellte selber einen Calvados und begann ihn auszufragen, indes die anderen am Stammtisch dem Tobias Malach seine philippinischen Geschichten abhörten. Schließlich steckte Tschonkovits dem wiederum wegdösenden Nekula seine Visitenkarte in die Brusttasche seines Anzugs.
»Ich werde ihn aber wählen«, lallte Nekula. »Trotzdem. Kamerad bleibt Kamerad.«
Die Schwere war von Johannes Tschonkovits gewichen, als er auf die Straße trat. Statt heimzugehen, eilte er zum Bundeskanzleramt, grüßte den Nachtportier laut und vernehmlich, und im Büro begann er ungeachtet der Uhrzeit mit den Telefonaten. Bloß den Bundeskanzler sparte er sich auf. Den würde er nächsten Tag überraschen, dass es eine Freude ist.
Eines der Telefonate galt dem soeben aus Meran zurückgekehrten Roman Apolloner. Der saß daheim beim Abendessen, ihm gegenüber schenkte sich Judith Zischka ein Glas Rotwein nach. Roman war etwas deprimiert. Sein Vater machte wiederum eine intensive Saufphase durch, seine Mutter am Rande der Verzweiflung, es war alles unerquicklich, der Besuch bei seinen beiden geliebten Nichten in Obermais war von diesen polternden Ereignissen überschattet. Als er in Wien aus dem Zug stieg, schüttelte er sich wie ein Hund, fuhr mit dem Taxi heim. Nun aßen die beiden Rigatoni, die Roman in aller Eile zubereitet hatte. Judith erzählte ihrerseits vom Unfall des Felix Dauendin und ihrer zerplatzten großen Geschichte. Nein, Schönn wolle nichts mehr hören von einem
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