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Der Kalte

Der Kalte

Titel: Der Kalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Schindel
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in ihr Schlafzimmer und war nicht mehr gesehen. Zuerst hat Mutter durch die geschlossene Tür mit ihr zu reden versucht, dann ich. Bei mir hat sie die Tür geöffnet, hat mich herzlich angelacht, ist mir über die Haare gestrichen, hat mich fest an sich gedrückt, mich dann weggeschoben und hat die Tür wieder zugemacht. Wir sind noch stundenlang in ihrer Wohnung herumgesessen; schließlich ist sie herausgekommen, hat sich zu uns gesetzt, von dem Kuchen ein Stück abgebrochen. Sie erklärte uns, dass es mit dem Karl endgültig aus sei. Sie hätte ihn vorgestern noch besoffen ins Spital zu seiner Mutter gebracht. Auch sein Vater wäre dort gewesen. Alle hätten Frau Fraul beruhigt, nur der saubere Sohn hat das Maul gehalten. Sie wäre nicht in Lebensgefahr, Margit schaute gestern zu ihr, aber sie hatte nicht den Eindruck, dass Frauls Mutter etwas von ihr wüsste.
    Klar, der Arsch hat seinen Oldies verschwiegen, dass er sie seit Jahren als Geliebte hatte, weil das für den gar nichts Wichtiges war. Das sagte ich der Margit zwar nicht, aber sie sah mir an, dass ich sowas dachte.
    »Wahrscheinlich war ich all die Jahre nicht wichtig für ihn«, sagte sie und lachte.
    Schließlich ließen wir sie, nachdem sie uns versichert hatte, dass ihr das zwar zu schaffen macht, dies hätten wir ja gesehen, aber sorgen bräuchten wir uns nicht. »De-we-i-vau-em«, sagte sie zum Abschied.
    »Was soll das heißen«, fragte meine Mutter.
    »Die Welt ist voller Männer.« Wir lachten und gingen.
    Abends rief ich das erste Mal beim Architekten Ernst Segal
an und verlangte nach Dolores. Wir redeten eine halbe Stunde, ich weiß nicht mehr worüber. Am Schluss flüsterte sie: »I love you.«
    Wumm, das hat mich angemacht. Fast hätte ich »me too« geantwortet, »ich dich auch«, habe ich ihr dann doch gesagt. Leider.
    32.
    Johannes Tschonkovits kam aus dem Büro des Bundeskanzlers. Er durchschritt das Vorzimmer, ging zu sich und ließ sich hinter seinem Schreibtisch nieder. Er holte den Block und notierte, was der Bundeskanzler ihm die letzte halbe Stunde vorgejammert hatte: Unangreifbarkeit von Johann Wais. Seine Autobiographie sei eben herausgekommen, »Am Tanzparkett der Weltpolitik« oder so ähnlich. Stellt sich als weltläufiger, erfahrener Politiker dar, der mit allen gut Freund ist. Biographie wie auf Butzenscheiben gemalt, angerußt durch den Dienst an der Ostfront, aufgehellt durch Dissertation schreiben und Liebesheirat.
    Unter den Granaten Eierkuchen, hoppa hoppa Reiter, dachte Tschonkovits missmutig, währenddessen er weiter mit dem Bleistift Zeile um Zeile hinwarf. So hilflos habe ich den Kanzler noch nicht erlebt. Tschonkovits schloss das Notat ab, gab es in seine Lade. Er erhob sich und ging, wie es seine Gewohnheit war, mit den Armen am Rücken auf und ab und ließ seine Gedankenströme in sich hinabrieseln und heraufpumpen. Womit könnte man den Uno-Heini anpatzen, dass es nur so spritzt? Jetzt muss ich mich einmal durch die Lebensverschönerungserinnerungen durchquälen, die ihm vermutlich der Novacek geschrieben hat, der jetzt auch als sein Pressesprecher angeheuert wurde. In
Amerika hätte ich ein Dutzend Leute, die nichts anderes zu tun hätten, als jeden verdammten Tag im Leben des Kandidaten durchzurastern. Aber hier wird ja jedem jedes Ammenmärchen geglaubt. Servile Journalisten wie der Novacek, der wieder servile Journalisten zur Verfügung hat, multiplizieren die Chose, und fertig ist die Operette. Ich sollte mir den Apolloner kaufen, der jetzt beim Signal den Ehrgeiz hat, eine große Nummer zu werden. Aber um ihn zu interessieren, muss ich irgendwas haben. Von nix kommt nix. Von nix kommt nix? Im Gegenteil. Von nix kommt alles. Genau. Was steht eigentlich nicht in der Biographie vom Wais? So eine Schwelgerei in der eigenen Großartigkeit kommt ohne Verschweigen gar nicht aus.
    Tschonkovits blieb mitten in seinem Büro stehen, begann schließlich auf und ab zu wippen. Er nahm sich die Biographie, setzte sich in seinen Denkstuhl, verbat sich per Telefon jegliche Störung außer vom Chef und versenkte sich in den Text. Als er einige Stunden später das Bundeskanzleramt verließ, war er so klug wie zuvor.
     
    Tschonkovits war ein gelernter Zauberer. In Parndorf aufgewachsen, in Wien Philosophie studiert, bei Hegel in den Flüssen und bei Heidegger in den Wäldern gewesen, sein Geld mit Sketches und Zaubertricks verdient. Als Achtjähriger hatte er im Wiener Ronacher eine Vorstellung des Magiers Kalanag besuchen

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