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Der Kalte

Der Kalte

Titel: Der Kalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Schindel
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Wiederum Stille, bloß das heftige Atmen der beiden Männer. Plötzlich sprang Krieglach auf und verschwand hinten im Atelierraum.
    »Das tut mir leid, Emmy«, stotterte Purr, griff nach seinem Taschentuch, um die nun beginnende Blutung aus der Nase von Emmy zu stillen. Sie nahm das Taschentuch und lächelte den Bürgermeister an.
    »Ist schon gut«, sagte sie.
    »Wie meinen?«
    Statt einer Antwort dröhnte es aus dem Atelier.
    »Komm schon herein, du Wichtigtuer.«
    Als Purr mit Emmy den Atelierraum betrat, riss Krieglach die Verhüllung von den drei Skulpturen.
    »Bitte sehr, bitte gleich«, rief er dabei. Purr stand angewurzelt und starrte die Steine an.
    »Das ist ja großartig«, begann er.
    »Keine Reden«, unterbrach ihn der Bildhauer. »Alsdann, Schorschi. Da ist es. Ruhe. Schauen, nicht reden! Komm, Emmy.«
    Er nahm seine Frau um die Hüften und verließ den Raum. Draußen küsste er sie auf den Mund.
    »Tschuldige. Das war nicht nötig, Schatzl, ich weiß.«
    Sie strich ihm über sein Haar und lächelte.
    39.
    (Aus dem Tagebuch des jungen Keyntz)
23. 12. 1985
    Mir gehts saugut, obwohl es mir auch schlecht gehen sollte. Meine Schwester liegt auf der Psychiatrie. So weit kommts mit Menschen, wenn sie in einer Tour aufeinander picken wollen. Von Anfang an hab ichs bemerkt: Mir gegenüber hat sie ganz erwachsen und auf große Schwester getan, aber beim Karel hat sie aufs Wort gefolgt. Das ist mir schon bei Mutter aufgefallen, Vatis Wort hat bei ihr wie ein Befehl gegolten.
    Wenn ich der Dolly irgendwas sag, macht sie das Gegenteil und lacht dazu. Bei ihr komme ich mir vor, als wäre ich die Frau, weil wenn die Dolly was von mir haben will, mach ichs, wenns nur irgendwie geht. Der Tschurtschi spottet, ich renn wie ein Dackel neben der Dolly her und schau rauf zu ihr, um an ihren Blicken zu erraten, was sie gerade will. Erstens redet da aus ihm der Neid der Besitzlosen, außerdem machts mir Spaß, meiner Liebsten die Wünsche von den Augen abzulesen. Das macht mir nichts aus, da steh ich drüber. Denn die Dolly ist echt eine Wucht. Inzwischen klappt es mit uns auch im Bett super. Nicht nur macht sie mich heiß, weil sie überhaupt keinen Genierer hat, auch ich bring sie voll auf Touren. Sie hat mir einfach gezeigt, was sie will. Als ich das erste Mal mit meinem Mund zwischen ihren Beinen war, hats mich ein bissl gewürgt, aber geschmeckt hats eigentlich nach gar nichts. Und wenn ich die Dolly dabei zwicke und kratze, kommt sie schnell. Irre. Dann sagt sie mir, ich wär der Beste, den sie je im Bett gehabt hat. Als ob sie schon mit ganzen Männerregimentern geschlafen hätt, dabei war es nicht einmal toll mit dem Tschurtschi, immer nur die Finger, sagt sie.
    Ich bin richtig in ihr drin, meist nachdem sie schon gekommen ist, dann rammel ich drauflos und dann kommt sie nochmals und ich auch, aber nicht so schnell wie am Anfang.
    Ich weiß gar nicht, warum ich mir das alles ins Tagebuch hineinschreiben muss, aber irgendwie hab ich das Gefühl, dass die Sachen, die mir passieren, erst wahr sind, wenn ich sie hier eingetragen hab. Deshalb hab ich mir auch fest vorgenommen, nur das hineinzuschreiben, was ich mir denk und was ich tu, jedenfalls nichts, was gar nicht stimmt. Ich bin ja ein ziemlicher Angeber in der Klasse, und auch bei der Dolly sag ich nicht immer, was in mir ist. Ich hab ihr erzählt, dass ich vor einem Jahr schon eine Freundin hatte, aber sie allen verschwiegen hab. Die wäre um fünf Jahre älter gewesen. Manon hätte sie geheißen. Dabei hab ich das nur erfunden, damit die Dolly mich nicht für eine Jungfrau hält, weil sie ist ja auch keine gewesen. Für mich wars aber das allererste Mal. Ich hab zwar vor zwei Monaten überlegt, ob ich zu einer Prostituierten gehen soll, jetzt merke ich, das habe ich sogar dem Tagebuch verschwiegen.
     
    Morgen ist Heiliger Abend. Ich muss los, noch Geschenke kaufen. Die Dolly feiert zwar keine Weihnachten, sie hat mir aber gestern eine Carmen geschenkt mit Vati als Escamillo. Die hab ich natürlich schon längst, aber ich habe mich irgendwie irrsinnig gefreut. Ich hatte so ein starkes Gefühl für Dolores Segal, ich hätte sie fast zu Tode umarmen können. Weiß auch nicht, auf einmal wars mir, als tät ich die Dolly schon ewig kennen und lieben.
    Aber was ich ihr schenken soll, fällt mir nicht ein. Oder doch: »In the Ghetto«. Und noch mehr Elvis. Den ganzen Elvis, vor allem »It's only love«. Ich bin ein ganz schöner Kitschkopf, aber es ist

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