Der Kalte
wurscht.
Morgen geh ich mit Mutter in die Klinik Berner zu Margit. Die sollte eigentlich jetzt zu Weihnachten rauskommen, aber ihr Arzt hat gesagt, Weihnachten ist viel zu gefährlich. Bisher hat sie immer gedöst, wenn ich da war, oder wenn sie mich doch bemerkt hat, hat sie mich lieb angelächelt. Mir ist ganz anders geworden. Sie hat mich angegrinst wie ein Kleinkind, aber geredet hat sie nichts. Klar, ein Kleinkind redet ja auch nicht. Mutter sagt, die Margit hätte seit ihrem Zusammenbruch mit keiner Menschenseele gesprochen, auch nicht mit ihrem Arzt. Die letzten beiden Male ist immer ein Mann zu ihr gekommen, den ich nicht kenne und Mutter auch nicht. Die hat dann von der Oberärztin in Erfahrung gebracht, dass das ein Kollege von ihr ist. Vielleicht übernimmt der die Margit vom Fraul, damit wären alle gut bedient.
Dolores hat mich angerufen. Sie wünscht sich ein Tonband mit Songs, die ich drauf singen soll. Nicht nur Elvis, auch zum Beispiel die »Winterreise«. Woher weiß sie, dass ich die Lieder dem Vati immer nachgesungen hab? Ich bin aber nicht Kammersänger Keyntz, du Blöde. Ich bin noch immer Stefan Keyntz. Himself. Aber ich nehm die Lieder nur für sie doch auf, hab ich beschlossen. Ich bin halt Dollys Dackel, ich jaule sogar nach Noten auf ihren Wunsch. Werd ich auch einmal bei den Irren landen?
40.
Am Vortag von Heiligabend ging Edmund Fraul früher als üblich zu seiner Mutter, denn mittags würde er Rosa vom Rudolfspital abholen und heimbringen. Abends würde dann Karl zu ihnen kommen, denn der wollte anschlie
ßend für acht Tage nach Venedig fahren und hatte auch sonst keine Zeit. Edmund hatte ein Zimmer in einer Pension in Reichenau ab vierundzwanzigsten gebucht, damit er dort im Schatten der Rax gemeinsam mit seiner Frau in eine Ruhe hineinkommen konnte. Denn seine Unruhe war in den letzten Wochen mehr und mehr gewachsen, ohne dass er sich erklären konnte, was der Auslöser dieser nervösen Stimmungen sei. Immer wieder sah er sich an einem Ort, ohne zu wissen, was er dort zu tun hatte, mehrmals war er im DÖW vor Akten gesessen, die ganz ohne Interesse für ihn waren. Auch änderte er seine Gewohnheiten allmählich, zuletzt war er immer wieder im Café Korb gesessen, als würden ihn mit diesem Café gute Erinnerungen verbinden. Was sind gute Erinnerungen, fragte er sich, indes er auf das Zimmerchen von Franziska zuging. Er trat ein, fand seine Mutter auf dem Boden liegen und bluten. Gleichmütig drehte er ihren Kopf zur Seite, sah an der Stirn die Platzwunde. Er holte die Schwester, und die holte die Ärztin. Die Wunde wurde versorgt und Franziska nach der Ursache des Sturzes vom Stuhl ausgefragt. Franziska sagte:
»Ich bin eben vom Sessel gefallen. Ich weiß doch nicht, warum.«
»Warum hast du nicht den roten Knopf betätigt, der dort ist. Du hättest im Liegen bloß den Arm auszustrecken brauchen«, fragte Edmund.
»Wozu Scherereien machen. Dazu bin ich zu alt. Schon gut, Edmund.« Die Ärztin war mit der Versorgung der Wunde beschäftigt, aber Franziska schüttelte ständig den Kopf und murmelte zur Ärztin:
»Was nesteln Sie dauernd an mir herum.«
»Halt still«, fuhr sie der Sohn an.
»Jajaja.«
Nachdem er abgewartet hatte, bis sie eingeschlafen war, ging er vor in die Direktion und wollte vom Direktor wissen, was für Maßnahmen ergriffen würden, dass sich dieser Vorfall nicht wiederholte. Der Direktor zuckte mit den Achseln. Vielleicht sollte man sie auf die Pflegestation bringen.
»Tun Sie das«, sagte Fraul missmutig. »Ich will meine Mutter nicht noch einmal blutend auf dem Fußboden liegen sehen.« Er stand auf und verließ grußlos den Raum.
Im Einundsiebziger schaute er in den Nacken des Mannes, der vor ihm saß. Blutrote Haut hat der, dachte Fraul. Die stiernackigen Österreicher, die Jochträger und vor dem Joch stiernackige Österreicher mit dem Ochsenziemer in den Händen und immerfort Furchen in den Teufelsacker. Gleich wird er sich umdrehen und mich anbrüllen, gleich wird er aufspringen und sich anbrüllen lassen. Der Lautsprecher vom Einundsiebziger fängt an, Gebell von sich zu geben, die Passagiere springen auf und stehen stramm. Fraul stieg aus, ging vor zur Juchgasse und bog ein. Rosa war fertig angezogen. Als sie ihn sah, nickte sie, lächelte, und das Ehepaar ging Arm im Arm aus dem Spital heraus. Beim Buffet unten saßen Inge Haller und Guido Messerschmidt, und Haller sprach so auf den jungen Arzt ein, dass sie die Frauls nicht bemerkte.
Weitere Kostenlose Bücher