Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Kalte

Der Kalte

Titel: Der Kalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Schindel
Vom Netzwerk:
Er antwortete nicht. Ich wartete einen Moment, dann senkte ich meinen Kopf leicht zum Gruß
und ließ ihn stehen. Beim Davongehen verspürte ich natürlich den Impuls, mich umzudrehen, um zu schauen, ob er hinter mir her blickte, doch ich spürte seinen Blick nicht im Rücken, ging einfach weiter, schnurstracks zum Zimmer von Rosa Fraul und trat ein.
    Frau Fraul sah auf die Decke, ihr Gesicht war hübsch und nahezu ohne Falten, wie Gesichter von älteren Frauen kurz nach dem Tod, aber ihres war gut durchblutet. Sie hatte die Augen wie meist halb geöffnet. Ich setzte mich zu ihr und schwieg, weil ich nicht wusste, wie ich beginnen sollte. Ich wusste allerdings von den Visiten, dass sie kein Wort gesprochen hatte, stets freundlich lächelte. Sie war keineswegs in ihrer Welt, sie nahm deutlich Anteil am gegenwärtigen Geschehen, jeder sah das, aber sie äußerte sich nicht. Wie soll ich, dachte ich mir, mit ihr reden, wenn sie … Ich räusperte mich, um zu sehen, ob sie darauf reagierte. Sie sah mich wohl an, nickte unmerklich.
    »Grüß Gott, Frau Fraul«, sagte ich zu ihr mit etwas zu lauter Stimme. Es traf sich gut, dass sie gegenwärtig allein im Dreibettzimmer lag.
    »Ich bin Margit Keyntz, hier Turnusärztin, und hab Sie begleitet seit dem Tag, an dem Sie eingeliefert wurden. Wie geht es Ihnen?« Rosa Fraul sah mich fragend an.
    »Jetzt bin ich aber nicht als Ärztin hier, sondern ich will Sie kennenlernen, denn Sie wären womöglich in einigen Monaten meine Schwiegermutter geworden. Ich bin drei Jahre mit Ihrem Sohn Karl, Karel, liiert gewesen.«
    All das sprach ich schnell, aber leise zu ihrem Ohr hin und merkte, wie mir beim Sprechen allmählich der Atem ausging, weil ich ihn nicht immer dann holte, wann ich ihn benötigte. Ich musste husten und wandte mich ab. Als ich mich wieder Rosa zuwandte, hatte sie ihre Augen geschlossen. Ich hob den Kopf und sprach weiter:
    »Wir hatten es gut miteinander. Am Anfang unserer Liebe, ja Liebe, hatte Karel große Schwierigkeiten am Theater, er fühlte sich in seinen Fähigkeiten nicht wahrgenommen und stritt sich viel mit dem Direktor Schönn herum. Ich war mitten im Studium, aber obwohl ich selber einiges um die Ohren hatte, stützte ich ihn, half ihm und versuchte auch sein angeschlagenes Selbstbewusstsein zu stärken, ihn zu ermutigen. Er war dann in Graz engagiert, wie Sie ja wissen, und hatte dort Erfolg um Erfolg. Wie oft fuhr ich zu ihm und wie oft probte er bei mir seine neuen Rollen, wir waren ein Team, das heißt, nein, ich half ihm und er belohnte mich mit seinem explodierenden Talent und seiner Hingabe. Jetzt hatte ihn der Burgtheaterdirektor zurückgeholt nach Wien und ihm diese schöne Rolle gegeben, den Macbeth, nein, den noch nicht, den Malcolm, das wissen Sie ja alles.«
    Ich rang nach Luft und spürte, wie mein Gesicht brannte. Rosa Fraul schlief sicher nicht, sie hörte mir zu, aber sie ließ sich nichts anmerken.
    »Jetzt hat eine der großen Diven des Theaters, diese Astrid von Gehlen, sich meinen Karel gegriffen, und er, dieser ehrgeizige und zugleich naive Kerl, ist auf sie reingefallen.«
    »Was soll das. Bist du wahnsinnig geworden?«
    Inge Haller stand hinter mir. Ich hatte ihr Hereinkommen nicht bemerkt. Sie packte mich hart an der Schulter und versuchte mich vom Sessel hochzuzerren. Ich merkte, wie in meinem Brustkorb etwas zersprang, ich stieß einen Schrei aus und stieß Inge Haller heftig zur Seite, sodass sie zu Boden stürzte. Ich sah noch, wie ihr Kopf am Boden aufschlug und dass ihre Haare sich lösten, ich hörte das dumpfe Geräusch des Sturzes und wusste, dass ich davonlaufen wollte.
     
    Als Margit Keyntz die Augen öffnete, saß Inge Haller an ihrem Bett und sah sie aufmerksam an. Margit hatte das Gefühl, als wäre sie selbst gar nicht da; sie sah bloß irgendwen im Bett liegen.
    »Was ist?«, fragte sie.
    »Nervenzusammenbruch, Liebes. Keine Sorge. Ruhe.«
    »Wo bin ich denn?«
    »Klinik Berner.«
    »Was mache ich auf der Psychiatrie«, sagte Margit, lauter werdend, und ihr Herz begann schneller zu pochen.
    »Ruhe«, sagte die Haller nochmals. Sie veranlasste etwas, und schon wurde Margit eine Spritze verabreicht. Kurz darauf schlief sie weg, nachdem sie der Oberärztin mit einem bösen Blick schweigend das Gesicht zerwühlt hatte. Haller stand schließlich auf, sah kummervoll auf die Eingeschlafene hinunter, zögerte, beugte sich nieder und gab ihr einen Kuss auf die Schläfe, schloss leise die Tür.
    »Sie schläft«, sagte sie

Weitere Kostenlose Bücher