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Der Kalte

Der Kalte

Titel: Der Kalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Schindel
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lugt auf Fraul herunter, sticht ihm mit seinen Blicken Löcher in den Hut, dringt unter die Schädeldecke. Seinesgleichen, dachte Fraul, waren schon seit damals unter meiner Schädeldecke versammelt, schneiden mir seither die Gedanken auf und lassen sie in immer dasselbe Gefäß rinnen, das mir in der Brust die Luft zusammenpresst und im Rücken auf die Wirbelsäule drückt. Dabei sind mir die Eggers doch wurscht. Sie sind nicht anders als die Nichteggers, ist doch alles derselbe Abschaum. Ob der Rosinger weiß, wo der Egger wohnt? Als Fraul schon nahe dem Café Zartl war, fragte er sich plötzlich, ob es nicht besser wäre, im Hörndl zu speisen. Er ging am Zartl vorüber, sah durch die großen Fenster hinein. An einem Fensterplatz saß ein Mann wie ein Fragezeichen vor seinem Notizbuch und schrieb. Als Fraul ihm dabei für
einen Augenblick zusah, hob der Mann den Blick und schaute ihm in die Augen, nickte mit dem Kopf, sodass Fraul sich abwandte und weiterging. Als er das Hörndl betrat, sah er Rosinger sofort, der im linken Eck saß und mit jemandem Schach spielte. Fraul tippte sich auf den Hut und nahm am anderen Ende des Lokals Platz. Im Mantel saß er nun da. Volksmusik dudelte aus dem Radio, und schon erschienen Männer in blauen Overalls. Fraul sah auf die Uhr. Er hatte keinen Hunger, dennoch stand er auf, holte sich eine Speisekarte, zog den Mantel aus und setzte sich wieder, um sie zu überfliegen. Er spürte gut, dass Rosinger ihn beobachtete. Mir scheint, dachte Fraul, ich bin wegen des Nebochanten da, und seine Laune verschlechterte sich augenblicklich. Was tu ich überhaupt noch auf dieser Welt? Dort sitzt der Kindermörder und schnieft, schaut ständig her. Meine Mutter verblödet mit zunehmender Geschwindigkeit, und Rosa? Nie war sie fremder als jetzt. Gott sei Dank, nun ist sie weit weg und ich kann gar nichts machen. Was denke ich da? Das ist doch meine Rosa, was hab ich denn schon sonst noch außer Egger und Konsorten? Meinen Sohn, jaja, so einen Sohn hab ich, wie ich ihn verdient hab. Einen großartigen Sohn. Jetzt hat sich seine Freundin umgebracht, und er tut so, als hätte er sie in die Gaskammer getrieben.
    »Das Menü«, sagte er zum Ober.
     
    Rosinger hatte Fraul sofort bemerkt, als dieser das Hörndl betrat, er nickte ihm zu und verspürte einen freudigen Schreck, als wäre ein guter Freund nach längerer Abwesenheit wieder wohlbehalten zurückgekehrt oder als würde eine schöne Frau ihn unerwarteterweise mit einem langen freundlichen Blick bedenken, wie es ihm damals mit der Hedi ergangen war. Poldl Cervenka, mit dem er mitten
in einer Fressschachpartie war, drehte sich um und fragte: »Wer ist denn das?«
    »Ein Bekannter«, sagte Rosinger und nahm ihm den Turm weg.
    »Wie heißt er?«
    »Du musst die Dame nehmen.«
    Die Partie war bald beendet. Cervenka wollte die Figuren neu aufstellen, Rosinger nahm sie in beide Hände und begann sie einzuräumen.
    »Es steht fünf zu drei«, sagte Cervenka. »Wir haben ausgemacht bis sechs.«
    »Ich hab noch zu tun, Poldl.«
    Rosinger wartete ein wenig, bis Fraul sich sein Essen bestellt hatte, dann stand er auf, klopfte dem Cervenka auf die Schulter und ging hinüber.
    »Darf ich?«
    Fraul hieß ihn Platz nehmen. Kaum saß Rosinger ihm gegenüber, beugte sich Fraul zu ihm hin und knurrte: »Kennen Sie den Anton Egger?«
    »Den aus Ebensee?«
    »Den.«
    »Nicht persönlich, Herr Fraul. Aber ich hab natürlich den Prozess verfolgt.«
    »Gefreut, dass er freigesprochen worden ist?«
    »Darüber habe ich mich nicht gefreut«, sagte Rosinger leise. »Das glauben Sie nicht?«
    »Unerheblich, was ich glaub. Was essen Sie?«
    Das Menü kam. »Auch eins.« Der Ober nickte.
    »Sagen Sie, Rosinger, haben Sie eigentlich noch Kontakt zu den alten Kameraden?«
    »Habe ich längst abgebrochen. Ich schwörs Ihnen. Auch wenn ich denen als Held vorkomme, ich hab nichts übrig für die. Sie wissen gar nicht, wie froh ich bin, dass das alles
vorbei ist. Ich finds doch verdient, wenn die eingesperrt werden.«
    Fraul schwieg. »Ich fands auch in Ordnung, dass sie mich verknackt haben«, fuhr Rosinger fort.
    »War ein mildes Urteil, das wissen Sie«, sagte Fraul zwischen zwei Bissen.
    »Das verdanke ich doch auch Ihnen.«
    »Stimmt.« Fraul aß weiter, wenn auch ohne Appetit. »Wissen Sie, ich find es ein bisschen schade, dass Sie keinen Kontakt mehr zu den Konsorten haben.«
    »Was meinen Sie?«
    »Was meine ich? Was glauben Sie, was ich meine?«
    »Weiß nicht. Servus,

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