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Der Kalte

Der Kalte

Titel: Der Kalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Schindel
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war er acht Wochen später wieder daheim. Bis Kriegsende hat er geschwiegen über die Zeit, wie ers versprechen hat müssen. Aber dann hat er erzählt und wie sie ihn vorher
auf der Liesl wie einen Tanzbären … Ein Zirkusbild von Beckmann erschien ihm unter den Augendeckeln, und dann wars bereits acht. Emmy hatte schon das Frühstück zubereitet, er duschte und rasierte sich, setzte sich zu Speck mit Eiern, sah sich suchend nach dem Bier um, trank aber dann den Tee, den sie ihm dazugestellt hatte.
    Um elf waren sie beim Galeristen in der Zollergasse erschienen. Teiler begrüßte sie, wobei er mitten im Gruß gähnte, und anstatt dem Ehepaar Krieglach die Hand zu reichen, sie sich vor den Mund hielt.
    »Tschuldigts, aber seit sieben haben wir gehängt. Das ist Frau Mendelssohn.« Die zierliche fünfundsiebzigjährige Malerin gab den Krieglachs die Hand, so als würde sie ihnen ein Geschenk überreichen.
    »Sie haben aber einen Handdruck«, sagte sie mit hoher Stimme und errötendem Gesicht, löste ihre Hand aus der Pranke des Bildhauers und wedelte mit ihr in der Luft.
    »Herbert«, sagte Emmy. Der zuckte mit den Achseln und begann die Mendelssohn über New York auszufragen. Sie antwortete in einem feinen altmodischen Wienerisch mit amerikanischem Akzent. Er schritt hernach mit ihr und dem Galeristen die Bilder ab. Emmy blieb im Vorraum zurück.
    Vor einem Bild hielt er inne. Es war ein Ölbild, das aber wie aquarelliert aussah. Es stellte in auflösender Form ein Menschengruppengewusel dar, irgendwelche käferartigen Leute wälzten sich auf dem Gehsteig. Um die herum standen in ihre Schatten auseinanderlaufende Zinnsoldaten, daneben Passanten, die sich ineinander verklumpten. Von der Gruppe mit den Käfern stach eine Gestalt hervor, weil sie neben den grüngrauen Tönen auch ein grelles Gelb aufgetupft hatte. Neben dem Bild stand: Reibpartie. Das Werk war neunzehnhundertvierzig in New York entstanden.
    »Das war ich«, sagte Lotte Mendelssohn und deutete auf einen der Käfer. »Und das war mein Vater.«
    Herbert Krieglach schaute in das Bild hinein, sah durch es hindurch auf die knienden Juden, die mit den Zahnbürsten die Gehsteige schrubbten, wiegte sich etwas hin und her, ging zurück, ging nah heran, deutete dem Galeristen und der Malerin, sie mögen weitergehen. Lotte trippelte zwar zum nächsten Bild, schaute dabei aber diskret zu Krieglach zurück. Der stand weiter vor diesem Bild. Dann zog er ein rotkariertes Taschentuch hervor und schnäuzte sich, nickte und ging den beiden nach und mit ihnen bis zum Ende der Besichtigung.
    Im Vorraum setzten sie sich um den Tisch, Krieglach blätterte im Katalog, dann verabschiedete er sich.
    »Kompliment«, sagte er zur Malerin. Er nahm ihre kleine Hand mit beiden Händen und barg sie einen langen Moment.
    Auf dem Weg zurück in die Schadekgasse blieb sein Gesicht ernst. Vor dem Haustor sagte er zu Emmy: »Ich muss ins Atelier. Lass mich in Ruhe.«
    Er wandte sich um und ging zur Gumpendorfer Straße. Emmy sah ihm in den Rücken. Viel Glück, dachte sie.
    5.
    Während sich Fraul Richtung Prater und Praterer bewegte, entlang des Donaukanals schließlich stromabwärts weiter und weiter ging, wollte ihm nicht einfallen, warum er heute, Montag, dorthin ging, ohne vorher seine Mutter besucht zu haben. Ein ausgestreckter Arm schien ihn in den Osten der Stadt zu stoßen. Die Lauheit der Luft wurde intensiver, es war ihm, als würden aus den Kleidern der Pas
santen Farben entweichen und ihm vor Augen tanzen. Die Buntheit der Umgebung hatte ihn schon seit vielen Jahren gleichermaßen erquickt und erschreckt. Als ihm bei der Urania eine junge Frau in einem hellroten Kostüm entgegenkam, musste er die Augen senken, er drehte sich zur Uraniauhr um und verfolgte den Sekundenzeiger, holte frischen Atem und ging weiter, entschloss sich plötzlich, die Radetzkystraße statt den Donaukanal entlangzumarschieren. Als er am Radetzkyplatz angekommen war, blieb er vor der Auslage eines Elektrogeschäftes stehen, betrachtete die verschiedenen Batterien und dachte an Anton Egger, den sie trotz überzeugender Aussage von Herrmann Gebirtig und anderer, allerdings bereits verkalkter Zeugen, die er selbst seinerzeit in Israel aufgestöbert hatte, freigesprochen hatten. Egger war als der Schädelknacker von Ebensee bekannt gewesen, der Schrecken Hunderter Häftlinge. Nun lebte er also unangefochten irgendwo im dritten Bezirk; womöglich in der Radetzkystraße steht er jetzt hinter einem Vorhang und

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