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Der Kalte

Der Kalte

Titel: Der Kalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Schindel
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warf sich rücklings auf sein Bett, drehte sich auf den Bauch, sodass das Geheul stoßartig zwischen seinem Mund und dem Polster entwich und den Raum füllte. Ich blieb stehen und wartete ab, bis das Weinen abnahm und schließlich aufhörte. Karel erhob sich, schaute mich mit verquollenen Augen an.
    »Wie viele Vorproben?«
    »Fünf«, sagte ich und musste ihn aufs Bett zurückwerfen.
    12.
    Die Scheinwerfer strahlten die Staffelei an, und auf Krieglachs kahlen Schädelstellen bildeten sich die Schweißtropfen, wurden groß und wässrig und liefen schließlich dem Bildhauer in seine dunklen Augenbrauen oder links und rechts an den Schläfen herab. Es war Mitte März und tief in der Nacht, als Herbert Krieglach begann, in wütenden und fahrigen Bewegungen Kohlezeichnungen anzufertigen, die in Varianten Käfer aller Art zeigten. Es waren in Menschen umgedeutete Käfer, die entweder Gregor-Samsa-mäßig auf dem Rücken lagen, die Gliedmaßen ausgreifend in die Himmelsrichtungen streckten, oder betenden
Muslimen glichen. Während Krieglach eine Zeichnung nach der anderen mehr hinfetzte als ausführte, stieß er immer wieder halblaute Schreie aus. Links der Staffelei häufelten sich die Blätter, die Flasche am Abstelltisch, angefüllt mit seinemWässerchen, leerte sich, und mit der Nacht gings zu Ende. Gelegentlich blieb er minutenlang wie ein Buddha vor der Staffelei sitzen. Seine von der Anstrengung rot unterlaufenen Augen schickten einen sowohl zornigen als auch fordernden Blick auf die jeweilige Zeichnung. Der Blick fuhr gleichsam von den Rändern her in die Skizze hinein, verharrte an Stellen, die dies zu erheischen schienen, stieß sich nach einer Weile davon ab, um weiter und weiter in die auch nicht sichtbaren Schraffuren einzudringen. In diesen Momenten ward es still im Atelier. Der sonst schnaufige Atem wurde angehalten, ein stummes Duell zwischen den Kohlestrichen und der mit ihnen gebildeten Figur trank die Minuten, bis Krieglach sich erhob, zur Staffelei trat, die Skizze herunterriss und zum Haufen tat.
    Um sieben öffnete er sein Atelierfenster. Der Märzwind begann sein durchwühltes, durchglühtes Gesicht von den Schläfen her zu kühlen. Aus den Bäumen der nahen Rustenschacherallee vernahm er Vogelgesang, dem er sich hinzugeben anschickte, indem er seinen Schädel durchs Fenster herausstreckte und dem Gezwitscher zuwandte. So verharrte er eine Zeit lang, als könnte er sich auf diese Weise entspannen und Ruhe finden.
    Er schloss das Fenster und hockte sich zu den verworfenen Skizzen hinunter, sammelte sie ein und trug sie zum großen Tisch, begann eine nach der anderen durchzusehen und geriet wieder in beträchtliche Unruhe. Schließlich ging er zum Telefon, rief Emmy an und bat sie mit flüsternder Stimme, als wollte er die Menschenkäfer nicht wecken, ins Atelier zu kommen, Eier und Schinken mitzubringen,
und zwar gleich. Er wandte hernach all den Skizzen den Rücken zu, verfügte sich ins andere Zimmer, um sich aufs Bett zu legen. Während er noch mit offenen Augen dalag, drängte sich ein Gedanke in den Vordergrund, der ihn wiederum aufstehen ließ. Die letzte noch an der Staffelei verbliebene Zeichnung wurde von ihm mit beiden Händen und langsam an sich genommen, er trug sie zu seinem Lager und hielt sie, nachdem er sich wieder auf den Rücken gelegt hatte, mit gestreckten Armen vor sich und vertiefte sich in sie. Als Emmy mit dem Frühstück erschien, fand sie ihn schlafend vor, die Skizze auf seinem Gesicht.
     
    Schließlich saßen sie beim Frühstück, Herbert in für Emmy überraschend aufgeräumter Stimmung, und sie musste an die angehäuften Skizzen denken, die er offenbar zu seiner Zufriedenheit entworfen hatte. Er verschlang seine Ham and Eggs, hielt sich nicht lange mit Tee auf, und Emmy holte ihm Bier.
    »Schau sie durch, wenn du magst.« Sie ging hinüber zum großen Tisch. Er verharrte auf dem Platz, hob das Bierglas, schaute es gegen das Licht an, trank und blieb sitzen.
    Emmy betrachtete Blatt für Blatt, manche flüchtig, als hätte sie gleich die vorläufige Vorläufigkeit der Zeichnung erkannt, manche betrachtete sie ausführlich, wenn es sich um eine mittlere oder gar endgültige Vorläufigkeit handelte. Als hätte er sich ausgerechnet, wie lange sie für die Durchsicht brauchte, erschien er, als sie die vorletzte Skizze in die Hand nahm. Er umschlang Emmy von hinten, biss sie in den Nacken, hob sie hoch und trug sie vor sich her zum Bett. Dort draufgelegt, entkleidete er ihren

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