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Der Kalte

Der Kalte

Titel: Der Kalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Schindel
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nein.« Adel winkte abwechselnd mit der linken und mit der rechten Hand ab. »Du gehst jetzt. Der Gedanke allein ist mir unerträglich.«
    Er kam auf sie zu, hielt ihr seine Wange zum Kuss hin. Astrid schmatzte ihm wütend einen drauf und lief aus dem Zimmer, schnappte im Vorraum ihren Mantel, schmiss wieder einmal mit den Türen. Sie schaute auf die Uhr, wollte sofort Dietger anrufen, um ihm ihren Ausstieg mitzuteilen, verschob es aber auf Montag früh.
    Den ganzen Tag blieb sie in ihrem Zimmer, heftige Kopfschmerzen, ein kolossaler Überdruss mit dem Theater, mit sich, mit ihrem Leben hatte sie erfasst. Abends rief sie Karl Fraul an. Er lallte etwas von einer Schlägerei mit einem Journalisten, Astrid musste ihn an die zehnmal bitten, ob sie ihn besuchen kommen dürfe. Es war keine Antwort aus ihm herauszubekommen.
    Montag früh stand sie gleichermaßen gewappnet und zerschlagen im Büro von Schönn. Er kam ihr lächelnd entgegen und küsste sie. Das wird ihm alles gleich vergehen, dachte Astrid und verspürte sogar etwas wie Genugtuung.
    »Peterchen hat es mir schon gesagt. Freust du dich«, fragte Dietger.
    »Na, freuen«, murmelte sie verdrossen. »Wer freut sich schon, wenn er aufgibt.«
    »Wieso? Willst du den Fraul nicht als Hippolyt?« Und Dietger lachte schallend in ihr Gesicht hinein.
    »Und Gruber?«, fragte sie verdattert.
    »Deine Sorgen, meine Sorgen, das ist Gott sei Dank zweierlei.« Hernach erzählte er ein bisschen von seiner Reise zu Muthesius, andere Schnurren und dass Bastian noch sehr zufrieden sein werde, da werde ihm, dem gütigen Dietger, schon etwas einfallen. Er hob seine Hand: »Vier Vorproben will Peterchen haben.«
    Das war Astrid recht, und sie fuhr sofort zu Karel.
     
    Während ich auf Frauls Haustor in der Margaretenstraße zuging, lief es ununterbrochen in mir ab; eine mich an meine Kindheitsstimme erinnernde Sprechpuppe redete in mir, und ich musste diesem Überschwang die Ohren hinhalten, sodass ich an seinem Haustor vorüberlief. Es hat doch keinen Sinn, dem Karel irgendwelche aufbauenden Redensarten in seine traurige Fratze zu schleudern, es ist
doch egal gewesen, wer oder wie viele Leute in den letzten Wochen in ihn hineingeredet hatten, er behielt diese Mördervisage auf, seine Unterlippe zitterte und bebte, er hörte jedem und auch mir mit auf den Boden gerichtetem Blick zu. Wenn er ein Schauspieler ist, ich meine, wenn er ein echter Schauspieler ist, und Gott gebe, dass er ein echter Schauspieler ist, und ich weiß, was für ein echter Schauspieler er ist, wenn er ein echter Schauspieler ist, dann nützt es nur, wenn er mit was Neuem auf der Bühne steht, und ich habe das Neue für ihn, und mit mir wird er spielen, und noch ganz anders wird es sein in der einen und entscheidenden Szene als bei Macbeth, wo wir uns auf der Bühne praktisch nicht begegnet sind. Nein, ja: Hier bin ich seine von mir unabdingbar eingebildete Geliebte und werde ihn zu Tode nerven, er muss sich mit Händen und Füßen wehren, er kriegt einen Begriff, was unstillbare Liebe bei einem, der sie nicht erwidert, anrichtet, das wird etwas sein, was ihm seine Schuldkomplexe austreibt, oder nicht? Ich werd es dem Adel flüstern, ich werde dem Peterchen beibringen, wie er mir den Karel auf Touren bringt, und ich werde selbst noch hineinwuchern in ihn als die Phädra, ich werde ihm schon zeigen, dass eine Liebe unabdingbar ist, ich werde …
    Ich blieb stehen und lief die Margaretenstraße einige hundert Meter wieder zurück, presste mir mit der linken Hand die rechte Augenbraue, damit die Sprechpuppe endlich ihre Fresse hielt, links und rechts drohten mir Passanten hineinzulaufen oder ich in sie. Vorm Haustor angelangt, stürzte ich alsogleich hinein, lief die Stiegen hinauf und läutete, obwohl ich einen Schlüssel hatte, an seiner Wohnungstür Sturm.
    Er machte mir auf und stierte mich an. Sofort musste ich mein Gesicht auf seines drücken, schob ihn in die Woh
nung hinein, schmiss mit dem Hintern die Eingangstür zu und begann ihm einiges von dem, was die Sprechpuppe geredet hatte, ins Theaterdeutsch zu übersetzen und in sein Ohr zu sprechen, vor allem Adels Wunsch nach ihm als Hippolyt. Er löste sich aus meiner Umklammerung und ging mit hängenden Schultern ins Schlafzimmer, setzte sich auf die Bettkante und hörte mir zu, die ich nicht zu reden aufhörte, außer wenn ich ihn mit schnellen, flüchtigen Liebkosungen an etwaigen Antworten zu hindern versuchte. Plötzlich bekam Karel einen Weinkrampf, er

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