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Der Kalte

Der Kalte

Titel: Der Kalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Schindel
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meisten musterten mich, zwei ältere Herren drei Tische weiter sahen so aus, als wollten sie Erwiderungen in meine Richtung hersagen. Beim Zurückkommen von Fraul bemerkte ich an der Art, wie er sich unserem Tisch näherte, eine Tattrigkeit, die jäh zwischen zwei Schritten sich zeigte, aber beim folgenden wieder verschwunden war. Er setzte sich nieder und ächzte dabei ein wenig.
    »Also, Ihre Sorgen möchte ich haben. Der Doktor Wais ist ein normaler Österreicher und lebt unter seinesgleichen hier. Und Sie? Wo leben Sie?«
    Darauf antwortete ich gar nicht. Will er mir sagen, ich würde seit Jahren in einem Quasinaziland leben und es nicht bemerken?
    »Schauen Sie«, sagte Fraul, »der Nationalsozialismus hat
meine ganze Generation verdorben, ihr gesamtes Denken und Handeln ist mit Wegschieben, Verdrängen und Lügen beschäftigt. Meine ganze Generation schaffte den Wiederaufbau mit Hilfe der Amerikaner bloß, weil sie mit sich ausschließlich als Wiederaufbauende beschäftigt war. Naturgemäß bauten sie auch ihre früher erworbenen Gesinnungen mit ein in das neue Fachwerkhaus Österreich. Meine Generation ist verloren. Wir müssen ihr Abtreten abwarten und höchstens darum kämpfen, dass sie nicht den Träumen ihrer Jugend treu bleibt und die früheren Zustände wiederherzustellen versucht.«
    »Lächerlich«, entfuhr es mir, denn die Vorstellung, dass Fraul an eine Renaissance des Nazitums glaubte, war ja lachhaft. »Entschuldigen Sie«, fügte ich eilig hinzu. Fraul winkte ab.
    »Wenn Sie es für lächerlich halten, was ich sage, dann gehen Sie. Vorher will ich schon wissen, warum Sie sich gerieren, als ob mit dem Wais als Präsident Sie und Ihr Wertgefühl so erschüttert wird, dass Sie Ihre Umgebung anmoralisieren, als seien Sie in Ihrer Generation der Einzige, der eine Gefahr in dem kleinen Leutnant sieht.«
    »Sind Sie nicht froh, dass es solche wie mich gibt?«
    »Darüber darf ich wohl froh sein. Aber tun Sie nicht so, als ob man Sie morgen ins KZ stecken wird. Wenn Sie überhaupt in diesem Land für die Zukunft von Nutzen sein wollen, dann behalten Sie kaltes Blut. Ihr führt euch andauernd wie die Opfer auf, nur weil eure Eltern …«
    »Meine nicht«, unterbrach ich.
    »… weil eure Eltern verdorben sind. W i r aber waren die Opfer. I h r werdet es erst werden. Mit Pathos und Theaterspielerei wird sich nichts ändern.«
    »Sie meinen, ich spiel Theater, wie Ihr Sohn? Der kümmert sich gar nicht um die Zustände in dem Land.«
    »Und Sie? Was haben Sie für einen Grund, sich so aufzuregen? Keiner hat Ihnen was getan. Er spielt Theater an der Burg, Sie in Ihrer Zeitung. Was wollen Sie eigentlich von mir? Sie kennen meine Bücher, Sie haben mich auf eine intelligente Weise interviewt, Sie wissen Bescheid. Warum regen Sie sich auf, warum empören Sie sich, anstatt etwas zu tun. Dagegen zu kämpfen.« Fraul öffnete seine beiden Fäuste und begann die Tischplatte vor sich mit der linken Hand zu streicheln. »Ich hab mein Lebtag kämpfen müssen. Herr Ober, zahlen!«
    Der ist nicht ganz dicht, dachte ich und spürte, wie sich eine Traurigkeit vom Magen herauf in mir ausbreitete. Dennoch sagte ich ihm leise mitten ins Gesicht:
    »Aber die Empörung ist doch die Voraussetzung, dass wir kämpfen.«
    »So? Ich nenn es Gejammer. Heute Abend wird übrigens ein Verein gegründet, hab ich gehört. Im Grünen Anker. Vielleicht beraten Sie lieber einmal mit anderen, was zu tun ist, statt sich so wichtig zu nehmen.«
    Fraul stand auf, zahlte beim herbeigeeilten Ober im Stehen, hob die Hand und wollte gehen, beugte sich schließlich vor und gab sie mir. Dabei blinzelte er mit dem rechten Aug, lächelte unversehens breit, nickte und schritt davon.
    Nein, dachte ich. Der ist grad so verrückt wie sein Sohn. So etwas kommt heraus, wenn einer wie Wais nichts anderes getan hat einst als Hunderttausende andere Österreicher auch?
     
    Merkwürdigerweise kam Apolloner am Rückweg wieder Krieglach entgegen. Roman grüßte ihn unwillkürlich. Der schaute ihn scharf an und ging dann an ihm vorbei. Daheim angekommen, eröffnete ihm Judith am Telefon, dass
abends im Grünen Anker die Gründungsversammlung des Club Diderot stattfinden werde.
    »Bist du noch beleidigt?«, fragte er sie.
    »Der vollständige Name des Vereins soll lauten: Club Diderot – Anderes Österreich. Könnte von dir sein, Roman.«
    »Wie lang spielst du noch die Beleidigte?«
    »Ist aber nicht von dir.«
    »Sondern?«
    »Boaz Samueli.«
    Natürlich der

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