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Der Kalte

Der Kalte

Titel: Der Kalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Schindel
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Apolloner das Lachen des Fraul zu unterbrechen. Fraul lachte weiter, doch sein Lachen ging allmählich in ein Bellen über und in ein Husten. Roman stand da, betrachtete sich im Spiegel, wie er den Hörer ans Ohr presste, als wollte er ver
hindern, dass ein Ton verloren ging. Er bemerkte, indes er dem Hustenanfall lauschte, dass er seinen Anzug angezogen hatte und die blau getupfte Krawatte korrekt gebunden war.
    »Kommen Sie aus einer Nazifamilie?«, fragte Fraul, nachdem er seinen Lachhusten einfach hinuntergeschluckt hatte.
    »Nein. Sie haben zwar optiert, und ein Onkel war schon dabei, aber –«
    »Sie sind aus Südtirol, stimmt, aha. Sind Sie nicht Italiener?«  
    »Passmäßig bin ich es.«
    »Und Sie fühlen sich verantwortlich dafür, dass die Volkspartei dahier den Wais zum Kandidaten gemacht hat?«
    »Nein, ich geniere mich dafür, wie er lügt und dass er womöglich ein Verbrecher ist.«
    »Das müssen Sie mir in der Tat erklären. Sind Sie bei Trost? Entschuldigen Sie, aber –«
    »Nein, nein. Ja, ich bin okay, ich bin ganz in Ordnung.«
    »Warten Sie. Ich habe jetzt nachher einen Vortrag in der Rahlgasse für die Maturaklassen. Von mir aus. Um halb zwei im Café Ritter?«
    »Ich bin Ihnen sehr verbunden. Danke, okay, um halb zwei.«
    »Alsdann«, sagte Fraul und legte auf.
    Apolloner stand noch eine Weile vorm Spiegel, nachdem er den Hörer hingelegt hatte. Auf einmal fühlte er sich leicht und sorglos. Er zog sich den Anzug wieder aus, stattdessen Jeans und Pullover an, sah, dass er noch gut vier Stunden Zeit hatte. Er holte die Protokolle des Auschwitzprozesses hervor, setzte sich an den Schreibtisch. Tschonkovits rief an.
    »Steckst du hinter dem neuen Verein?«
    »Ich steck hinter keinem Verein.«
    »Das andere Österreich? Club Diderot?«
    »Was soll das sein?«
    »Das frage ich dich.«
    »Keine Ahnung. Finde ich aber gut. Wer macht das?«
    »Roman, das weiß ich nicht. Deswegen ruf ich dich doch an. Heute treffen sich die Leuteln im Grünen Anker.«
    »Da werde ich wohl hingehen.«
    »Machs brav«, lachte Tschonkovits und hängte ein.
     
    Ich war froh, mit dem alten Fraul den Termin im Ritter ausgemacht zu haben. Zuerst schlägt mir der Sohn nachgerade die Nase zu Brei, dachte ich, hernach geh ich den Alten treffen, damit der mir mich erklärt. Schließlich hatte doch Edmund Fraul sich ausreichend um ein wiedererstandenes und anständiges Österreich bemüht. Er hatte nie aufgehört, den Menschen hier klarzumachen, wohin das führt, wenn sich nicht gewisse Kriterien des Verhaltens zum gesellschaftlichen Konsens entwickeln. Gedächtnisarbeit, Geistesgegenwart, Aufklärung all dessen, was geschah und allezeit wieder geschehen könnte. So oder so ähnlich werde ich mich dem Fraul gegenüber verständlich machen und begründen, weshalb ich mit ihm nochmals und dieses Mal dringendst sprechen wollte, dachte ich, indes ich den Naschmarkt querte, um in die Köstlergasse hineinzugehen.
    Der Bildhauer Krieglach kam mir entgegen, seine Mundwinkel waren parallel zu seinem Schnurrbart nach unten gezogen. Mit seinen Händen in den Taschen ging er an mir vorüber. Vorm Flakturm im Esterházypark bog ich in die Schadekgasse ein, ging hinauf und betrat das Café Ritter. Fraul saß am Mitteltisch und hatte eine deutsche Zeitung breit gefaltet, las in ihr, sodass er erst aufsah, als ich ihn ansprach.
    »Nehmen Sie Platz«, murmelte er. Ich gab ihm die Hand und ging danach meinen Mantel aufhängen. Als ich mich
ihm gegenüber hinsetzte, bemerkte ich, dass er mir mitten in die Augen schaute, als wären Kringeln auf meinem Augenhintergrund, die ihn besonders interessierten. Ich zwinkerte ein-, zwei- oder dreimal und wollte zur Einleitung ansetzen, um mich ihm zu erklären, doch ein fast unmerkliches Lächeln, das jäh sein Gesicht verschloss, ließ mich zögern. Das Lächeln erinnerte mich an ein Foto vom Dichter Raimund Muthesius, das wir vor zwei Wochen im Signal gebracht hatten. Man wusste nicht, war es Sardonie, war es Perfidie, es machte des Dichters Anblick unbehaglich, und so wollte der es wohl auch haben. Ich blickte nochmals in Frauls Gesicht. Fraul nickte kurz und sagte:
    »Grüß Sie, Herr Apolloner. Zur Sache.« Und er legte beide Fäuste vor sich auf den Tisch.
     
    Nachdem ich mein Anliegen vorgebracht hatte, schwieg er, stand auf, entschuldigte sich und ging zur Toilette. Ich muss etwas laut gesprochen haben, denn an den umliegenden Tischen hatten es sich die Gäste im Zuhören eingerichtet, die

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