Der Kammerjäger
sich an den kleinen Tisch am Fenster und vertiefte sich in den Inhalt der Akte. Beim Töten, wie beim Zocken, konnte einem eine Information einen Vorteil verschaffen. Es sparte Zeit, war billig und konnte einen davon abhalten, größere Fehler zu machen. Es war keine Erfolgsgarantie, aber eine gute Methode, auf Nummer Sicher zu gehen.
Klaus las die Akte zweimal durch. Er betrachtete detaillierte Pläne der fünf Stadtteile und markierte mit einem roten Filzstift alle Örtlichkeiten, wohin der dunkeläugige Mann laut seinen Angaben Bob verfolgt hatte. Die roten Markierungen entsprachen den Standorten der vier Gebäude von Silverstein, wo Bobs Experimente stattfanden, obwohl der Detektiv angab, daß er nicht genau habe feststellen können, was Bob in den Gebäuden getan hatte.
Der Detektiv hatte auch eine Chronologie von Bobs Bewegun- gen zusammengestellt, als Hilfe, um irgendwelche Muster zu ermitteln. Nachdem er sich vier Stunden intensiv mit dem Material beschäftigt hatte, war sich Klaus immer noch nicht sicher, ob Bob Dillon eine Bedrohung für sein Leben war oder bloß ein Trottel, der es nicht schaffte, eine Visa Card zu bekommen. Morgen würde er selbst ein paar Nachforschungen anstellen.
Es war ein Uhr morgens, als Klaus die Mappe schloß und zu ESPN zurückkehrte, in der Hoffnung, die Endergebnisse der West-Coast-Spiele mitzukriegen.
Der große braune UPS-Wagen kam in der Morgensonne Bobs Straße heraufgefahren und hielt vor seinem Haus, wie er es schon einmal getan hatte.
Als Bob wieder nicht zu Hause war, ließ der freundliche Typ von UPS einen seiner freundlichen Benachrichtigungszettel zurück, auf dem das Schicksal des Päckchens erklärt wurde, ging hinüber zu Pratts Haus und klingelte.
«Was wollen Sie?» brüllte Pratt durch die Tür.
Der freundliche Typ von UPS brüllte zurück: «Wieder ein Päckchen für Mr. Dillon. Er ist nicht zu Hause, kann ich es wieder bei Ihnen lassen?»
Pratt riß die Tür auf. «Was bin ich denn, ein Scheiß-Postfach?» Er grapschte nach dem Päckchen. «Her damit.»
Der freundliche Typ von UPS dankte Pratt - ohne die geringste Spur von Sarkasmus - und hüpfte zu seinem großen braunen Wagen zurück.
Drinnen warf Pratt das neue Päckchen zu dem alten. Jetzt hatte der schlaue Vermieter zwei Geiseln, die er gegen seine dreihundertzwanzig Dollar ausstehende Miete einbehalten konnte.
Man mußte verdammt früh aufstehen, wenn man den guten alten Dick Pratt aufs Kreuz legen wollte.
Der freundliche Typ von UPS hatte recht: Bob war nicht zu Hause. Denn zu diesem Zeitpunkt ging er die 6th Avenue entlang und beschäftigte sich mit einem ungewöhnlichen Gedanken.
Einige Minuten zuvor, beim Überqueren des Times Square, war er von zwei ledergekleideten Frauen der Domina-Zunft angesprochen worden, die vor einer S&M-Boutique standen.
«Hey, Süßer», gurrte eine. «Ich bin heute Nacht dein Baby.» Sie ließ ihre Peitsche knallen.
Bob, der kein ausgeprägt unterwürfiger Typ war, hatte ihr Angebot als reizvoll, aber im Augenblick finanziell unerschwinglich abgelehnt. Die Frau sagte, er solle wiederkommen, wenn er mal besser bei Kasse wäre.
Seit der Begegnung mit den bei den Züchtigerinnen hatte Bob darüber nachgegrübelt, wie der Plural von Domina heißen könnte. Dominas? Dominen?
Während er sich das Ganze durch den Kopf gehen ließ, ahnte er nicht, daß Klaus ihn durch ein Fernglas von einem Versteck in der Wartungsetage der Atlantic Bank of New York beobachtete.
Die Informationen, die Klaus erworben hatte, hatten sich als gut erwiesen. Wie vorhergesagt steuerte Bob auf das verlassene sechzehnstöckige Gebäude zu. Klaus fragte sich, was dort drinnen passierte. Während er ihn beobachtete, bemerkte Klaus, daß Bob von jemandem verfolgt wurde, und es war nicht der dunkeläugige Mann in dem dunklen Anzug. Es war jemand anders, jemand, den Klaus schon einmal gesehen hatte und den er nie vergessen würde: Ram6n, der Mann mit dem grauenhaften Gesicht, mit dem er sich das Taxi vom Flughafen geteilt hatte.
«Plastikbranche, ha?» kicherte Klaus, weil er die Wahrheit kannte. Und die Wahrheit war, so war ihm plötzlich aufgegangen, daß der «Plastib-Mann ein anderer Auftragsmörder war.
Klaus wußte, daß Miguel Riviera einen Killer nach New York geschickt hatte, um den «Schädlingsvernichter» kaltzumachen, der, wie Riviera behauptete, seinen Bruder Ronaldo im Auftrag der CIA getötet hatte. Klaus' Kontakte bei der Agency dementierten jegliche Beteiligung an der
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