Der Kampf der Insekten
kaum noch real. Dieser Tag hatte mehrere wichtige politische Figuren im Arbeitszimmer seines Vaters gesehen. Es hatte höfliche Begrüßungen für Joao Martinho und gedämpfte Konferenzen mit seinem Vater gegeben.
Der alte Mann kämpfte für seinen Sohn – Joao wußte dies. Aber der ältere Martinho konnte nur in der Weise kämpfen, die ihm in einem langen Politikerleben vertraut geworden war: durch das fast rituelle System von Beziehungen, mit Manövern hinter den Kulissen und dem Austausch von Macht- und Pfründenversprechungen, mit dem Ansammeln politischer Stärke, wo es zählte. Nicht ein einziges Mal war er bereit gewesen, auf Joaos Zweifel einzugehen. Er und Alvarez – jeder, der etwas mit dem Piratininga zu tun gehabt hatte – standen zur Zeit in Mißkredit.
»Das Programm abbrechen?« stieß der alte Mann hervor. »Den Marsch nach Westen verzögern? Den Besiedlungsplan zurückstellen? Bist du verrückt? Wie, glaubst du, habe ich mich dreißig Jahre im Amt gehalten? Ich, ein Abkömmling von Hidalgos, die eine der ersten Capitanias beherrschten! Wir sind keine Matutos aus dem Busch, und doch nennen die Cabocios mich ›Vater der Armen‹. Diesen Namen habe ich nicht durch Dummheit erworben.«
»Vater, wenn du nur …«
»Sei still! Ich habe unseren kleinen Topf hübsch am Kochen. Alles wird gut sein.«
Joao seufzte. Seine Position hier erfüllte ihn mit Verdruß und Scham. Den alten Mann so zu beunruhigen … Aber er war so engstirnig, so blind!
»Untersuchen, sagst du«, spottete der alte Mann. »Was untersuchen? Gerade jetzt können wir Untersuchungen und Mißtrauen und öffentliche Diskussionen nicht gebrauchen. Die Regierung, dank einwöchiger Seelenmassage durch meine Freunde, nimmt jetzt die Haltung ein, daß alles normal sei. Man neigt sogar dazu, die Umweltprediger und Carson-Anhänger für die Tragödie von Bahia verantwortlich zumachen.«
»Aber man hat keine Beweise«, sagte Joao. »Das hast du selbst zugegeben.«
»Beweise sind in einer solchen Zeit ohne Bedeutung«, erwiderte sein Vater. »Wir haben ein straff und autoritär geführtes Staatswesen. Es gibt keine oppositionelle Presse, die Schwierigkeiten machen könnte. Was jetzt allein zählt, ist, daß wir jeden Verdacht weit von uns schieben. Wir müssen Zeit gewinnen. Außerdem ist dies eine Sache, die ich dem militanten Flügel der Carson-Anhänger durchaus zutrauen würde.«
»Die haben gar nicht die Mittel für eine Panikmache mit so ausgeklügelten Mechanismen. Außerdem habe ich die Dinger aus nächster Nähe gesehen; das waren keine Roboter oder verkleidete Menschen.«
Es war, als ob der alte Mann nicht gehört hätte. »Erst letzte Woche, einen Tag, bevor du wie ein verrückter Wirbelwind hier ankamst, sprach ich auf Bitten meines Freundes, des Landwirtschaftsministers, mit einer Gruppe von Vertretern kapitalkräftiger ausländischer Konzerne, die den Mato Grosso bereisten, um die Möglichkeiten der Rinderzucht und Fleischproduktion im nördlichen Teil dieses Staates zu prüfen. Du weißt, die Umwandlung des Urwalds in Weideland war dort oben bisher nicht möglich, weil das Vieh an Infektionskrankheiten verkümmerte, die von tropischen Insekten übertragen werden. Ich sagte ihnen, wir würden die grüne Zone in diesem Monat um zehntausend Hektar vergrößern. Und weißt du, was diese Herrschaften taten? Sie lachten mich aus! Sie sagten: ›Das glaubt Ihnen nicht mal Ihr eigener Sohn! Ich sehe jetzt, warum sie so etwas sagen. Das Programm zurückstellen, in der Tat!«
»Brasilien hat nichts davon, wenn ausländische Konzerne in großem Stil Rindfleisch für den Export in ihre Länder produzieren«, sagte Joao. »Es verliert den natürlichen Reichtum seiner Wälder, in den Regenzeiten wird der fruchtbare Boden in die Flüsse geschwemmt, und in dreißig Jahren haben wir nichts als Sumpf und Karst. Dein Freund, der Landwirtschaftsminister, ist ein Idiot, wenn er das nicht sieht.« Joao begann sich entgegen seinem Vorsatz zu erregen. »Die Experten der IBÖ …«
»Die IBÖ! Dieser schlaue Chinese, dessen Gesicht dir nichts sagt! Er ist mehr Bahiano als die Bahianos selbst, dieser gerissene Bursche. Und dieser neue weibliche Doktor! Er schickt sie überall hin, um zu schnüffeln und zu spionieren. Seine mae de santo, seine sidaga – die Geschichten, die man sich über diese Frau erzählt, sie haben es in sich, kann ich dir sagen. Erst gestern wurde gesagt …«
»Ich will es nicht hören!«
Der alte Mann verstummte, starrte
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