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Der Kampf mit dem Dämon

Der Kampf mit dem Dämon

Titel: Der Kampf mit dem Dämon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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überkommt einen die Empfindung des Engelhaften – dies Reine, Weiße, Geschlechtlose, Schwebende, dies nur wie Traum Über-die-Welt-Hinfahren, dies selig Gewichtlose und Erlöste in seiner eigenen Melodie. Goethe dichtet von der Erde aus, Hölderlin über die Erde hinweg: Poesie ist ihm (wie Novalis, wie Keats, wie all den Genien, den frühgestorbenen) Überwindung der Schwerkraft, Zergehen des Ausdrucks in Klang, Heimkehr ins flutende Element.
    Die Erde aber, die schwere, harte, dies vierte Element des Alls, sie hat – ich sagte es schon – nicht teil an dem beflügelten Gebilde des Hölderlinschen Gedichtes: sie ist für ihn immer nur das Untere, das Gemeine, das Feindselige, dem er sich entringt, die Schwerkraft, die ihn ewig an seine Irdischkeit gemahnt. Aber auch die Erde enthält heilige Kunstkraft für den Bildner, sie bringt Festigkeit, Umriß, Wärme und Wucht, göttlichen Überfluß für den, der ihn zu nützen weiß. Baudelaire, der ganz aus der Gegenständlichkeit irdischen Materials mit gleicher geistiger Leidenschaft bildet, ist vielleicht da der vollkommene lyrische Gegenpol Hölderlins. Seine Gedichte, die ganz aus Komprimierung geschaffen sind (indes jene aus Auflösung), sind als Plastiken des Geistes ebenso standhaft vor dem Unendlichen wie Hölderlins Musik, ihre Kristallhaftigkeit von Wucht nicht minder rein als Hölderlins weiße Durchsichtigkeit und Schwebe – sie stehen einander Stirn an Stirn gegenüber wie Erde und Himmel, Marmor und Wolke. In beiden aber ist die Steigerung und Verwandlung des Lebens in Form, in plastische oder musikalische, eine vollkommene: was zwischen ihnen in unendlichen Varianten der Gebundenheit und Lösung flutet, ist herrlicher Übergang. Sie aber sind dieGrenzen, das Äußerste der Ballung, das Äußerste der Auflösung. In Hölderlins Gedicht ist dies Zergangensein des Konkreten – oder wie er schillerisch sagt: »die Verleugnung des Akzidentiellen« – so vollkommen, das Gegenständliche so restlos vernichtet, daß die Titel oft gänzlich leer und zufällig über den Versen haften; man lese einmal zur Probe die drei Oden an den Rhein, an den Main und an den Neckar, um zu fühlen, wie sehr die Entpersönlichung auch der Landschaft in ihm fortschreitet: der Neckar rollt ins attische Meer seines Traums, und Griechentempel blinken an den Ufern des Mains. Sein eigenes Leben löst sich auf zum Symbol, Susanne Gontard entsinnlicht sich zu Diotimas ungewissem Bildnis, die deutsche Heimat zu einem mystischen Germanien: keine Spur Irdischkeit, keine Schlacke eigenen Schicksals bleibt zurück von dem lyrischen Verbrennungsprozeß. Bei Hölderlin verwandelt sich nicht (wie bei Goethe) Erlebnis ins Gedicht, sondern es entschwindet, es verdunstet im Gedicht, es löst sich vollkommen, ja spurlos auf in Wolke und Melodie. Hölderlin verwandelt nicht Leben zur Poesie, sondern er entflieht dem Leben ins Gedicht, als in die höhere, die wahrere Wirklichkeit seiner Existenz.
    Dieser Mangel an Erdkraft, an sinnlicher Bestimmtheit, an plastischen Formen entkörpert aber nicht nur das Objektive, das Gegenständliche des Hölderlinschen Gedichts: auch das Medium, auch die Sprache selbst ist nicht mehr erdhafte, fruchthafte, schmackhafte, mit Farbe und Gewicht durchsättigte Substanz, sondern eine bloß durchscheinende wolkige weiche Materie. »Die Sprache ist ein großer Überfluß«, läßt er einmal seinen Hyperion sagen, aber sehnsüchtigen Erkennens nur; denn Hölderlins Vokabular ist durchaus nicht reich, weil er sich weigert, aus dem vollen Strom zu schöpfen: nur aus den reinen Quellen, sparsam und nüchtern hebt er die erlesenen Worte. Sein lyrisches Sprachgut stellt vielleicht kaum ein Zehntel von Schillers, kaum ein Hundertstel von Goethes etymologischem Wortschatz dar, der mit fester und niemals prüder Hand in den Mund des Volkes und des Marktes griff, ihm seine Formung wegzufassen und bildnerisch sich zu erneuern. Hölderlins Wortquell, so unsagbar rein und gesiebt er ist, hat durchaus nichts Strömendes und vor allem keine Vielfalt, keine Nuancen.
    Er selbst ist sich dieser eigenwilligen Einschränkung und derGefahr dieses Verzichts auf das Sinnliche vollkommen klar bewußt. »Es fehlt mir weniger an Kraft wie an der Leichtigkeit, weniger an Ideen wie an Nuancen, weniger an einem Hauptton als an mannigfach geordneten Tönen, weniger an Licht wie an Schatten, und das alles aus einem Grunde: ich scheue das Gemeine und Gewöhnliche im wirklichen Leben zu sehr.« Eher

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