Der Kannibalenclan
ein paar Meter am Ufer entlang zu gehen, dann sehen Sie sie schon«, gibt eine der Frauen zu verstehen.
»Na gut, bleiben Sie hier, vielleicht brauchen wir Sie noch.«
Die Frauen verstehen nicht, was sich die Beamten untereinander zuflüstern. Nur deren Lächeln lässt sie erahnen, für wie unwahrscheinlich sie die Aussage halten.
Nur wenige Meter von der bezeichneten Uferstelle entfernt bleiben die Herren stehen. Nun sind sie es, die aufgeregt umherlaufen und heftig diskutieren. Der Anblick der unzähligen Knochen und des sich durch die Wellen ständig drehenden Kopfes versetzt die Beamten in Entsetzen.
Zunächst versucht man, die Brücke abzuriegeln und den Straßenverkehr wieder in Gang zu bringen. Die auf der Brücke parkenden Fahrzeuge werden allmählich wieder in den Verkehr eingeleitet, die Brücke wird gesperrt Längst haben unzählige Schaulustige die Brücke in Beschlag genommen. Den herbeigerufenen Polizeibeamten fällt es schwer, sich einen Weg durch die Menschenmenge zu bahnen. Ein leitender Polizeibeamter holt über Funk Verstärkung, und in Kürze ist die Brücke menschenleer.
Noch weiß niemand, dass hier am Ufer des kleinen Flusses Abuschka, von den Stadtbewohnern liebevoll »Aba« genannt, ein Kriminalfall ins Rollen kommt, der die ganze Stadt noch in Angst und Schrecken versetzen wird.
Das inzwischen weiträumig abgesperrte Gelände wird nun von Gerichtsmedizinern und der örtlichen Mordkommission Zentimeter für Zentimeter untersucht. Man besorgt einen Fischkäscher, mit dem ein junger Polizeibeamter das angetriebene Strandgut zu bergen versucht.
Ein Polizeireporter erzählt
Neben den untersuchenden Polizeibeamten gibt es einen Mann in dieser Stadt, der diesen Tag nie mehr in seinem Leben vergessen wird. Wie immer, wenn in dieser Stadt etwas Außergewöhnliches geschieht, ist er zur Stelle. Meist als Erster. Zu gute Beziehungen hat er zu den örtlichen Polizeistellen. Ein Mann, der viel zu erzählen weiß. In einem persönlichen Gespräch will er sich befreien von dem, was er an diesem Tag in Nowokusnezk erlebt hat. Es ist der Polizeireporter Michael S. Er war als erster Journalist am Fundort.
»Von wem erfuhren Sie von dem Fund am Fluss?«
»Nun, sehen Sie, in unserer Stadt gibt es ja nur diese eine Zeitung. Für Morde, Vergewaltigungen und alle Straftaten, die mit Gewalt zu tun haben, bin ich zuständig. Die Polizei holt mich in der Regel dazu, weil ich ihnen kostenlos Fotos liefere.
Die haben doch gar keinen eigenen Fotografen.«
»Heißt das, nur Sie schießen die eigentlichen Polizeifotos für die Ermittlungen?«
»Die Polizei fotografiert natürlich auch. Doch mit der Ausrüstung, die die Leute haben, kann man keine vernünftigen Aufnahmen machen. So hat sich das mit der Zeit so geregelt, dass meist meine Fotos verwendet werden.«
»Wenn Sie zurückblicken auf diesen Tag, wie ist das alles abgelaufen?«
»Es war schrecklich! Nach einem Anruf der Polizeistation wurde ich an diesen Platz beordert. Ich fuhr mit einem sehr flauen Gefühl im Magen los. Der Beamte sagte mir: »Fahren Sie an den angegebenen Ort. Dort wurden Leichenteile angeschwemmt, die fotografiert werden müssen. Und kein Wort darüber zu anderen. Haben Sie das verstanden?« Diese lapidare Auskunft des Beamten ließ mich bereits ahnen, dass etwas Schreckliches auf mich zukommen würde. So wurde ich beauftragt, für die Polizei Bilder zu schießen, die die ganze Stadt in Angst und Schrecken versetzen würden. Die Fotos sollten sich auch in mein Gehirn eingraben.«
Man sieht ihm an, dass er noch immer geschockt ist, wenn er darüber erzählt: »Mit meinen dreißig Jahren habe ich schon viel gesehen. Das bringt mein Beruf so mit sich. Menschen, die getötet wurden, Menschen die bei Verkehrsunfällen ums Leben gekommen sind – aber was sich an diesem Tag zutrug, sprengte all meine Vorstellungskraft.«
Er wirkt sehr nervös, als er beginnt weiterzuerzählen: »Sie können sich sicher vorstellen, welch ein Anblick es war, die vielen Leichenteile im Wasser zu sehen, die sich in den Büschen des Ufers verfangen hatten. Noch immer wollte jeder der Anwesenden glauben, dass dies keine Überreste von Menschen, sondern von Tieren seien. Einer der Beamten, die die Teile mit dem Käscher aus dem Wasser holen sollten, wurde ohnmächtig und fiel ins Wasser. Als sie ihn herausgeholt und durch einen anderen Beamten ersetzt hatten, machten sie weiter. Dann trafen die Männer der Gerichtsmedizin ein. Die wirft so leicht nichts
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