Der Kapuzenmörder
Waren bereit. Die Luft war schon dick vom Holzrauch aus den kleinen Hütten der Handwerker hinter der Cheapside. Karren mit Feldfrüchten rumpelten über das Kopfsteinpflaster, und die Fuhrknechte ließen ihre Peitschen knallend durch die Luft sausen und verfluchten ihre Pferde. Lehrjungen in Wämsen aus Segeltuch und Leder hatten ein wachsames Auge auf die Bettler, die sich im Schatten zwischen den Häusern herumdrückten. Das waren Banditen — keine echten Armen, sondern Strauchdiebe und Simulanten, die nach leichter Beute Ausschau hielten, ehe das Geschäft des Tages begann. Vier von der Stadtwache marschierten vorbei und führten eine Reihe von Nachtvögeln mit sich: Trunkenbolde, Diebe, zerzauste Huren und lärmende Burschen. Sie wurden zum großen Wasserspeicher gebracht, wo die meisten von ihnen den ganzen Tag in einem Käfig stehen würden, um von den braven Bürgern beschimpft zu werden, deren Nachtschlaf sie gestört hatten.
Corbett blickte auf, als die Glocken im Turm von St. Mary Le Bow zu läuten begannen, und er sah, wie das große Leuchtfeuer, das den Londonern in den dunklen Stunden den Weg wies, gelöscht wurde. Jetzt fingen auch andere Glocken zu läuten an und riefen die Gläubigen zur Morgenmesse. Ranulf spähte umher und sog all diese Bilder gierig in sich auf, dann schaute er Corbett düster an und begann, laut zu klagen, daß er noch nichts gegessen und einen Mordshunger hätte. Sie machten an einer Garküche halt und schlangen sich die Zügel um die Arme, während sie gierig heißes, würziges Rindfleisch aus kleinen Schüsseln aßen. Ranulf schwatzte von seinem Söhnchen, der illegitimen Frucht einer seiner vielen Amouren. Corbett hörte aufmerksam zu. Ranulf wollte den Jungen gern zu einem kurzen Aufenthalt in das Haus in der Bread Street bringen. Corbett lächelte tapfer, aber sein Herz wurde schwer von Verzweiflung. Lord Morgan, Ranulf und Ranulfs kleiner Sohn — da wäre es endgültig aus mit Ruhe und Frieden in seinem Haus.
Corbett schluckte den letzten Bissen Fleisch hinunter und wusch sich die Hände in einer Kanne mit Rosenwasser, die ein schmalgesichtiger kleiner Bengel herausbrachte. Der Junge sah verhungert aus; seine Augen waren fast so groß wie das ganze Gesicht. Corbett drückte ihm eine Münze in die Hand. »Kauf dir auch etwas zu essen, mein Junge.«
Er trocknete sich die Hände an seinem Mundtuch ab und wartete, um zu sehen, ob der Junge auch tat wie geheißen. Dann führten sie die Pferde am Zügel die Cheapside hinunter. Corbett hörte nur noch mit halbem Ohr zu, wie Ranulf seinen Sohn in glühenden Farben schilderte. Er dachte an die Ereignisse des Abends zuvor. Er und Maeve hatten einander wild und leidenschaftlich geliebt, und dann waren sie zusammen zum Essen in die Küche hinuntergegangen, bevor sie wieder ins Bett zurückgekehrt waren. Er dachte an Maeves Neckereien und an sein müßiges Geplauder über die Angelegenheiten des Hofes. Aber dann war seine Frau unruhig und besorgt geworden, denn er hatte ihr berichtet, warum er nach London zurückgekehrt war.
»Ich habe von diesen Morden gehört«, erklärte sie, setzte sich auf und zog die Decke um sich. »Erst hat niemand etwas bemerkt. In einer Stadt wie dieser werden Mädchen ermordet oder verschwinden, und niemand kümmert sich darum.« Sie schüttelte den Kopf. »Aber der Tod dieser Frauen, die Art, wie sie gestorben sind... Ist es wahr?«
Corbett, der flach auf dem Rücken lag, regte sich plötzlich. »Ist das wahr?«
»Es heißt, der Mörder...« Maeve zog schaudernd die Knie unters Kinn. »Es heißt, er verstümmelt die Leichen der Mädchen.«
Corbett sah sie überrascht an. »Wer hat dir denn das erzählt?«
»So wird allgemein getratscht. Die meisten Frauen haben Angst, nachts noch hinauszugehen. Aber der letzte Todesfall hat sich tagsüber ereignet.« Und Maeve berichtete von dem neuesten Mord und von dem verstümmelten Leichnam einer Hure, der im Vorraum einer Kirche bei Grey Friars gefunden worden war.
Corbett streichelte sanft ihren nackten Arm. »Aber warum die Angst? Die Frauen, die er getötet hat, waren allesamt Huren und Kurtisanen.«
»Na und?« Maeve warf den Kopf in den Nacken. »Frauen waren es trotzdem, und Lady Somerville war sicher keine Hure.«
Corbett schwieg. Irgendwie hatte er den Verdacht, daß es sich mit Lady Somervilles Tod nicht so verhielt wie mit den anderen Fällen. Hatte die alte Dame etwas entdeckt? Oder hatte sie den Mörder überrascht?
Jetzt schaute Corbett in
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