Der Kartograph
es mir. Er hat Euren Brief erhalten. Ich soll Euch ausrichten, dass er sich sehr geehrt fühlt. Und auf der Seekarte habt Ihr dieses Vorhaben ja bereits verwirklicht. Dennoch. Niemand darf jemals etwas über den Inhalt dieses Gespräches erfahren. Versprecht es mir bei Eurer Ehre. Ich bin befugt, Euch alles mitzuteilen, was Ihr wissen wollt. In meinem Rock habe ich außerdem gewisse Unterlagen bei mir – zum Beispiel bestimmte Tabellen. Ich darf sie Euch zeigen, aber nicht überlassen.»
Martin Waldseemüller hätte am liebsten laut gejubelt. Er war zu jedem Versprechen bereit, wenn Juan Vespucci nur redete. «Zur Berechnung der Längengrade! Ich dachte es mir. Euer Onkel hat es geschafft! Und was ist mit dem Osten dieses neuen Erdteils, weiß euer Onkel mehr darüber, als er bisher schrieb? Und dem Norden? Reicht die Landmasse durchgängig von Süd nach Nord über den Äquator hinweg, oder gibt es dazwischen eine Meerenge? Wisst Ihr etwas darüber?»
«Ja», antwortete Vespucci knapp.
«Was ja? Worüber?»
«Über alles. Zumindest fast. Wo ich nichts Genaues sagen kann, gibt es wenigstens Vermutungen.» Dann griff er in seine Rocktasche und zog ein ganzes Bündel Papiere hervor.
Jean Basin schlich sich an die Türe, hinter der die beiden Männer saßen, und presste seine Ohren an das Holz. Wer mochte wohl dieser fremde Gast sein? Doch er konnte nichts verstehen. Durch die dicke Holztüre drang nur ein undeutliches Gemurmel.
Martin Waldseemüllers Gesicht war verschlossen, als er von dem Treffen mit dem jungen Besucher zurückkam. Er erzählte nur wenig Genaues. Er hatte Juan Vespucci sein Wort gegeben.
Nur eines konnte er den Freunden mitteilen: «Amerigo Vespucci hat mir Folgendes ausrichten lassen. ‹Ich werde öffentlich erklären, dass ich der Überzeugung bin, einen neuen Erdteil entdeckt zu haben, sobald Eure Karte erschienen ist. Das wird die Anfeindungen Eurer Neider etwas eindämmen.›»
«Damit hat er dir den Ritterschlag erteilt», stellte Philesius fest.
«Und damit wird allen Kritikern der Wind aus den Segeln genommen», ergänzte Nicolas Lud. «Sie …»
«Sie werden uns die Karte aus den Händen reißen», vervollständigte sein Onkel den Satz. Er ahnte noch nicht, wie recht er damit haben sollte. Niemand in Saint-Dié konnte sich zu diesem Zeitpunkt auch nur annähernd vorstellen, welchen Aufruhr diese Karte auslösen würde.
Ende Februar 1507 war Matthias Ringmann mit seiner Arbeit an der Intruductio fertig; sie konnte in Druck gehen. Bereits zu diesem Zeitpunkt zeichnete sich das enorme Interesse ab. René von Lothringen hatte offenbar Fürstenhäuser in halb Europa über das große Werk informiert. Aber auch die großen Handelshäuser, Vertreter aus Genua, Venedig, Mailand. So beschloss die Runde in Saint-Dié, die zweite Auflage der Introductio gleichzeitig mit der ersten zu drucken. Nur wenige Tage später, als der Schnee einigermaßen geschmolzen war, reiste Matthias Ringmann zurück nach Straßburg. Er nahm Gauthier Luds großes Werk Speculi Orbis succinctiss. sed neque poenitenda neque inelegans Declaratio et Canon mit, das die stereographische Projektion der Weltkugel enthielt. Die Druckerei in Saint-Dié hatte noch nicht die Möglichkeiten, es zu drucken. Deshalb würde es bei Jean Grüninger in Straßburg erscheinen.
Doch Martin Waldseemüller wusste, Philesius und er würden sich bald wiedersehen. Der große Tag rückte unaufhaltsam näher. Und je näher er kam, umso größer wurde die Versuchung, sein Wissen mit den Freunden zu teilen. Vespuccis Wissen. Aber er durfte es nicht.
Kurz darauf traf ein Brief seines Onkels Jakob aus Basel ein. Die Nachricht platzte mitten in die größte Hektik; in der neuen Officina von Saint-Dié ging es drunter und drüber. Johannes Amerbach, schrieb er, wisse, wo ein Originalmanuskript der ptolemäischen Geographia zu finden sei, nämlich in der Bibliothek des Basler Predigerordens. Amerbach habe dorthin gute Beziehungen. Er schlage vor, dass Martin ihm einen Brief schreibe. Ihm werde Amerbach die Bitte um Beschaffung und Übersendung der kostbaren Schrift sicherlich nicht abschlagen.
Gauthier Lud strahlte. «So können wir uns gleich ans Werk machen, wenn wir mit unserer derzeitigen Aufgabe fertig sind.»
Nicolas Lud, der gerade bei seinem Onkel stand, musste über dessen schon kindliche Freude ebenso lachen wie Martin Waldseemüller.
Gleich am nächsten Tag brachte er das Schreiben auf den Weg.
Dem berühmten Meister Johann Amerbach, dem
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