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Der Kastrat - Harvell, R: Kastrat - The Bells

Titel: Der Kastrat - Harvell, R: Kastrat - The Bells Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Harvell
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die Frau. »Unsere
Loge ist immer besetzt, wenn Guadagni singt.«
    Er verneigte sich.
    »Und wer ist das?«, fragte sie und sah
mich an. Die Wachen hielten die Menge zurück, aber dennoch zupfte ein gieriges
Mädchen an meinem Hemd, das andere längst aus dem Hosenbund gezogen hatten.
    »Das, Gräfin«, sagte Guadagni, als
enthülle er einen Schatz, »das ist mein neuer Schüler.«
    Blinzelte mein Lehrer der Frau in
diesem Moment zu? Mir gefiel ihr Lächeln nicht. Guadagni wandte sich zu mir.
»Ich habe die Ehre, dir Gräfin Riecher vorzustellen, die charmanteste Frau
Wiens.«
    Ich war schon dabei, mich zu
verbeugen, aber mein Kopf schoss in die Höhe, als ich den Namen hörte. Ich
musterte ihr Gesicht. Ihre kalten grünen Augen schienen meinen Blick wie mit
Klammern festzuhalten.
    »Ich hoffe, er singt besser als der
letzte«, sagte sie mit einem Grinsen.
    Ich lauschte in die Dunkelheit der
Kutsche. War da ein Atmen?
    Guadagni blickte sie ernst an und zuckte
die Achseln. »Non parla italiano.«
    Die Gräfin schüttelte den Kopf und
warf Guadagni einen tadelnden Blick zu.
    »Nun«, sagte sie zu mir auf Deutsch,
»wie ist es, einen so hervorragenden Lehrer zu haben?«
    Hatte ihr Sohn auch solche Augen? Und
diese Hände, die sie da ineinanderlegte – hatten sie meine Liebste heute
berührt?
    »Spricht er überhaupt irgendeine
Sprache?«, fragte sie Guadagni.
    »Er scheint von Eurer Schönheit
verzaubert zu sein, Gräfin.«
    Sie schüttelte den Kopf und schenkte
mir ein amüsiertes Lächeln. Dann wandte sie sich wieder an Guadagni. »Ihr müsst
für mich singen«, sagte sie. »Ich gebe eine kleine Gesellschaft.«
    »Ich habe sehr viel zu tun, Madame.«
    »In drei Wochen«, sagte sie. Sie
reichte Guadagni ein Stück Papier. Er faltete es auseinander, und ich sah, dass
nur eine Zahl daraufgeschrieben war. Ich meinte Überraschung auf dem Gesicht
des Sängers aufblitzen zu sehen.
    »Die meisten Menschen schreiben mir
Liebesgedichte«, sagte er, »um meine Gunst zu gewinnen.«
    Sie zuckte die Achseln. »Lasst das
hier Zeugnis meiner tiefen Zuneigung sein.« Sie sprach emotionslos.
    »Ich werde es bedenken«, sagte
Guadagni. Er steckte das Stück Papier in die Tasche. Sie streckte ihre Hand zu
einem weiteren Handkuss aus. Er sah ihr in die Augen, als er sich
darüberbeugte.
    Sie lächelte mich noch einmal an; ihre
Zunge glitt über ihre dünnen Lippen. »Wenn Ihr kommt, bringt natürlich Euren
charmanten Schüler mit.« Dann setzte sie sich zurück und verschwand in ihrer
Kutsche, und als diese anfuhr, nahm uns die Menge wieder in Anspruch. Aber
jetzt war ich zu fassungslos, um die Hände abzuwehren. Sie rissen und zerrten
an meinem Hemd, als ich auf jeden Riecher-Laut lauschte: das Zuschnappen der
Kutschentür, ihre barschen Anweisungen für den Kutscher, das Knallen der
Peitsche, das Geklapper der Räder auf den Kopfsteinen.
    Guadagni sah ihr nach. »Sie ist
grotesk«, sagte er leise, während er unzählige Hände abschüttelte. »Aber sie
ist sehr, sehr reich. Ich vermute, ich muss ihre Gesellschaft mit meiner Stimme
beglücken.«
    Guadagnis vordringliche Sorge,
nachdem wir das Burgtheater verlassen hatten, galt meiner angemessenen
Ausstattung als Schüler des großen Kastraten. Sein italienischer Schneider
passte mir mehrere der schönen, langen Brokatröcke an, die die Uniform des Kastraten
sind. Ich betrachtete mich im Spiegel, während der Schneider mit Goldfaden
arbeitete – und bald war ich prächtig herausgeputzt.
    »Perfekt«, sagte Guadagni, als ich mit
Gold und Samt und spitzen Schuhen ausgestattet war. »Exquisit.«
    Als wir an diesem ersten Abend in
seiner Kutsche zu seinem schönen Haus zurückfuhren, das auch mein Zuhause in
Wien werden sollte, fragte ich ihn, wann er damit beginnen würde, mich
Italienisch zu lehren, sodass ich in seiner Oper singen könne. Er unterdrückte
ein Lächeln und wandte den Kopf, um aus dem Fenster der Kutsche zu sehen.
»Geduld«, sagte er. »Geduld. Du musst so viel lernen. Das Singen kommt später.
Bevor sie dich auf ihre Bühnen lassen, bevor sie dir überhaupt beim Singen
zuhören, müssen sie an dich glauben.« Er musterte mich prüfend von oben bis unten,
und bei seinen letzten Worten blähten sich seine großen Nasenflügel. »Du musst
erst ein Musico werden, bevor du wie einer singen kannst.«
    Wir fuhren vor seinem Haus vor.
    »Aber das bin ich«, murmelte ich
schüchtern, »ich bin ein Musico.«
    »Nein«, schalt er mich und schnalzte
mit der Zunge. »Du bist ein

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