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Der Kastrat - Harvell, R: Kastrat - The Bells

Titel: Der Kastrat - Harvell, R: Kastrat - The Bells Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Harvell
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Dreckflecken
auf ihrem Gesicht. Das stolze, liebevolle Lächeln, das sie der Schlange
schenkte. Vielleicht ist das, was ich jetzt vor meinem geistigen Auge sehe, nur
die Erinnerung an eine Erinnerung an eine weitere vage Erinnerung – wie eine
alte Uhr, die so oft repariert worden ist, dass kein Originalrädchen mehr übrig
ist. Ich habe das Bild so oft beschworen: dieses Mädchen mit den unordentlichen
Haaren und den schmutzigen Händen, das sich eine völlig verschreckte
Ringelnatter an den Mund hält.
    Ihre Lippen waren nur einen Hauch von
der Schlange entfernt, als sie mich sah.
    Im Flackern der Lampe sah ich, wie
Verlegenheit in ihre Wangen stieg. Sie versuchte, die Schlange hinter ihrem
Rücken zu verstecken, diese aber wand sich in dem Griff einer einzigen Hand so
heftig, dass sie sich befreien konnte und zu Boden fiel. Einen Augenblick hielt
das Mädchen inne, dachte nach, dann ließ sie sich auf Knie und Ellenbogen
fallen und umklammerte Jean-Jacques mit beiden Händen, während ihre Zöpfe wie
lange Ohren auf den Boden herabhingen. Sie wandte den Kopf zu mir.
    »Wer bist du?«, fragte sie. »Was tust
du hier?«
    Ich war sofort angetan vom
Selbstvertrauen in ihrer Stimme, der deutlichen Artikulation ihrer Worte. Keine
Spur von einem ländlichen Dialekt. Sofort wusste ich, dass dieses Mädchen einer
noch höheren Klasse angehörte als die Chorknaben, die mich verhöhnten.
Gleichgültig, wie nahe sie mir in diesem Augenblick war, es gab sicher
niemanden auf der ganzen Welt, der einen größeren Abstand zu mir hatte.
    Sie nahm Jean-Jacques fest in den
Griff und mühte sich auf die Knie, dann stand sie auf, wobei sie die Schlange
vor sich hielt wie ein Priester, der den Messkelch voller Wein umfasst. Sie war
einen Kopf größer als ich und hatte ein außergewöhnliches Gesicht, das wie ein
Gemälde der Empfindungen war: Neugier in der Festigkeit ihrer Stirn, Vorsicht
im Schnitt ihrer Augen, Verlegenheit in einer Einbuchtung ihres Kinns, einen Anflug
von Freude in der Ausdehnung ihres Mundes. Sie betrachtete mein Chorgewand.
    »Bist du Mönch?« Ihr Ton verriet, dass
sie Schlangen lieber mochte als Mönche.
    Wieder sagte ich nichts.
    »Wenn ich erwachsen bin«, sagte sie
und kam sehr langsam auf mich zu, wobei sie trotzdem sehr schnell sprach, »wird
es keine Mönche mehr geben, nur philosophes, was Frauen sein können, auch wenn Frauen keine
Manufakturen leiten können.« Als sie aufhörte zu sprechen, war Jean-Jacques
nahe an meinem Gesicht. Er zappelte nicht mehr, sondern starrte schlaff in die
Dunkelheit. Das Mädchen sah mir in die Augen. Ich trat einen Schritt zurück.
Sie kam auf mich zu.
    Ihr Kleid raschelte, wenn sie sich
bewegte. Ihre steifen schwarzen Schuhe knirschten. Sie ließ ihre Zähne zweimal
aufeinanderschlagen. »Wenn du je jemandem erzählst, was du gesehen hast,
schlage ich dir den Schädel ein«, sagte sie.
    Dann ging sie einfach an mir vorbei.
    Ich drehte mich um und sah ihr nach,
und erst da bemerkte ich, dass sie hinkte. Ihr rechter Fuß war nach innen
gebogen, und sie konnte das Knie nicht beugen. Sie warf einen Blick zurück, als
sie den Raum verließ, und merkte, dass ich ihr Bein betrachtete. Ein gekränkter
Ausdruck gesellte sich zum Schlachtfeld der Gefühle auf ihrem Gesicht. »Es ist
grausam zu starren«, sagte sie.
    Dann war sie fort. Ich sah auf die
Türöffnung, dann schloss ich die Augen, sodass ich mir ihre Geräusche noch
einmal zurückrufen konnte, die bereits in meinem Gedächtnis gespeichert waren.
Das Rascheln ihres Kleides, die sanfte Stimme, die Schlangen beschwören konnte,
weckten meine anderen Sinne. War das ihr Geruch nach Seife und Zitrusfrüchten,
der noch im Raum hing?
    Ich kehrte in den Hauptgang zurück und
lehnte mich an die Wand, bis ich hörte, wie Uelis Füße über den Boden
schleiften. Er war nämlich geschickt worden, um mich zu suchen.
    Wir sollten eine Sonntagsvesper
singen – Vivaldis Dixit Dominus, ein Stück, das die richtige Virtuosität, Harmonie und
Frömmigkeit aufzubieten hatte, um Genies und reiche Schwachköpfe gleichermaßen
zu beeindrucken und auf diese Weise Neufassungen von Testamenten und
Vermächtnissen zu inspirieren, die für die Abtei überaus günstig waren. Die
Kapelle der Dufts war ein feuchter Kalksteinklotz, angefüllt mit einem Übermaß
an religiösen Bildern und etwa dreißig Gläubigen. Feder und ich standen
Schulter an Schulter vor dem kleinen Chor. An diesem Abend verbarg Feder keine
Nadel in der Hand, um mir in den

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