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Der Kastrat - Harvell, R: Kastrat - The Bells

Titel: Der Kastrat - Harvell, R: Kastrat - The Bells Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Harvell
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der abstoßende Mann Kantaten hervor – Schmuggelgut
aus Leipzig –, und im Geheimen verunreinigte ich die Abtei mit Bachs
protestantischem Gesang.
    So wie die reichsten Sankt Gallener
Katholiken Baumwolle aus Amerika begehrten, Bücher aus Paris, Tee aus Indien
und Kaffee aus der Türkei, waren Beerdigungen, Gemeindeprozessionen oder
Gemeindefeste ohne musikalische Begleitung durch den Chor nicht vollkommen. In
meiner Erinnerung sind diese vielen Veranstaltungen nur ein verschwommenes Bild
aus Rüschen und Musselin in feuchten Kapellen, ein verstohlenes Schnarchen und
Keuchen.
    Das heißt: alle bis auf eine.
    Normalerweise reisten wir auf
Ochsenkarren zu unseren Konzerten, denn die Mehrheit der Sankt Gallener
Katholiken lebte außerhalb der Stadtmauern. An einem bestimmten Abend jedoch
marschierten wir im Gänsemarsch aus dem Westtor der Abtei in die
protestantische Stadt. Ulrich ging voran, gefolgt von zwei Geigern mit grauen
Gesichtern und grauen Haaren, von Heinrich, dem Cembalisten mit dem speckigen
Hals, dem Bassisten Andreas, zwei ausgewachsenen Tenören und zwei vorpubertären
Altisten, dem Sopran Feder und Ueli, einem früheren Chorknaben, den die grausame
Pubertät zum schlaksigen Gepäckträger und Seitenumblätterer degradiert hatte.
Ganz zum Schluss kam ich, weil ich hinterhertrödelte, um jeden Laut
einzufangen, der aus den offenen Fenstern der Stadt drang.
    Mehrmals verlor ich Uelis Rücken aus
den Augen, während wir durch die Stadt gingen, aber es war nicht schwierig, zu
ihm aufzuschließen. Ich schloss meine Augen und stellte meine Ohren auf seine
Hacken ein, die er über die Straße schleifen ließ. Nachdem ich zehn Minuten
gegangen war, fand ich die anderen. Sie warteten vor einem prunkvollen Haus aus
grauem Stein. Es war das Haus Duft, wie Ulrich uns erzählte, Heim der
Textilfamilie Duft und Söhne . »Ein katholisches Haus«, sagte er, »obwohl wir uns
innerhalb der Stadtmauern befinden.« Feder flüsterte ein wenig zu laut, dass seine Familie nie bei den
Ratten leben würde. »Das soll dir eine Lehre sein«, erwiderte Ulrich streng.
»Wer Fleiß vor Religion stellt, zieht Nutzen aus seiner Toleranz. Die Dufts
sind mit Abstand die wohlhabendsten Leute in unserem Kanton, seien es nun
Katholiken oder Reformierte. Heute Abend müsst ihr eure beste Vorstellung
geben.«
    Wir betraten das Haus durch einen
Seiteneingang wie angeheuerte Konditoren. Der Kellergang zur Kapelle war
finster und feucht. Zunächst folgte ich Uelis Rockschößen, aber dann blieb ich
stehen. Ganz deutlich hörte ich das Klappern von Metalltöpfen zu meiner Linken,
aber als ich mich umdrehte, sah ich nur den grauen Stein der Mauer. Ich machte
einen Schritt nach vorn, und das Klappern ließ nach, jetzt aber sprach eine
Frau. Zwei weitere Schritte und ich hörte andere Leute sprechen – eine Gruppe
von Männern, mindestens ein Dutzend.
    Ich hielt inne. Der Klang floss, als
hätte ich drei offene Fenster zu drei verschiedenen Räumen passiert, aber die
Mauer bestand nur aus schierem Stein. Ich untersuchte sie genau. Ich konnte
keine Löcher finden und fing an zu zittern, denn das hieß doch, dass Geister
diesen Gang bewohnten. Heute allerdings kann ich verstehen, dass es weder
Wunder noch Teufelswerk war, sondern einfach ein phénomène . Ich habe gelesen, dass Kalkstein aus uralten
Muschelschalen besteht, und bei den Dufts müssen sie besonders ausgehöhlt
gewesen sein, weil sie wie die Schneckenmuschel unseres Gehörgangs alle
Geräusche, die in dem riesigen Haus gemacht wurden, einfingen und
weiterleiteten. Genau wie das Summen der Lippen eines Trompeters vom Mundstück
durch die Drehungen und Windungen des Messings zum Schalltrichter geleitet
wird, so wurden die Geräusche im Hause Duft verschluckt, von Muschel zu Muschel
übertragen und durch die Wände eines völlig anderen Raumes ausgespuckt.
    Während ich meinen Gefährten durch
diesen düsteren Gang folgte, hörte ich, wie ein Glas auf dem Boden zerbrach,
eine Hand auf einen Tisch schlug, ein Mann ein albernes Lied sang, ein Kind
weinte und eine Frau sich erleichterte. (Wenn du dich fragst, wie ich das
Geschlecht aus dem Zischen des Strahls erkennen konnte, solltest du aus
Konzertsälen verbannt werden. Gott hat dir Ohren zum Hören gegeben.) Hinter
diesen identifizierbaren Geräuschen, die blitzschnell ertönten und wieder
verhallten, hörte ich Knalle und Schläge in großer Zahl, die klangen, als würde
innerhalb dieser Mauern von einer stummen Mannschaft Silber

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