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Der Kastrat - Harvell, R: Kastrat - The Bells

Titel: Der Kastrat - Harvell, R: Kastrat - The Bells Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Harvell
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ging zu seiner Frau. »Liebes«, sagte er, »wir müssen alles
Unvorhergesehene ausschließen. Dann können wir die Ursache finden – und das
Heilmittel.«
    »Das hast du schon so oft gesagt«,
erwiderte sie müde. »Viele, viele Male.«
    »Aber jedes Mal stört uns etwas«,
sagte er. »Immer, wenn wir gerade so weit sind, mit der genauen Analyse zu
beginnen.«
    »Vielleicht ist das mein Schicksal.
Vielleicht soll ich nicht geheilt werden.«
    »Aber die Wissenschaft, Liebes.«
    »Vielleicht.« Sie sprach so
verzweifelt, dass dieses eine Wort alle Hoffnung aus Dufts Gesicht wischte. Er
schüttelte den Kopf, aber ich wusste nicht, ob er ihr widersprechen oder gegen
seine Tränen ankämpfen wollte. Es erstaunte mich, dass er jetzt so mitgenommen
war, wo er doch vor einigen Stunden, als mein Gesang die gesamte Kapelle bewegt
hatte, völlig unberührt davon geblieben war. Amalia verweilte an der Tür und
starrte auf den Boden.
    Duft wischte sich mit dem Handrücken
über die Augen und versuchte zu sprechen. »Dieses Mal«, sagte er, »sorge ich
dafür, dass niemand deine Isolation stört.«
    »Keine Isolation mehr!« Jetzt war die
Stimme der kranken Frau zehnmal stärker als die ihres Mannes. Selbst Amalia sah
überrascht auf, aber in diesem Augenblick setzte ein neuer Hustenanfall ein.
Wir senkten in respektvoller Stille die Köpfe, bis er aufhörte. Sobald Frau
Duft wieder Atem holen konnte, sprach sie: »Als ich den Gesang dieses Jungen
hörte, habe ich mich daran erinnert, dass die Welt einmal schön war.«
    Beinahe hätte ich wieder zu singen
begonnen.
    »Sie wird wieder schön sein, Liebes,
wenn du geheilt bist.«
    Sie schüttelte den Kopf.
    Plötzlich kam Leben in Amalia. Sie
hinkte zum Bett und ergriff meine Hand. »Aber vielleicht wird das sie heilen!«,
rief sie.
    Duft sah verwirrt aus. »Was meinst
du?«
    »Ihn, sein Singen.« Sie schüttelte
meinen schlaffen Arm.
    Die Hoffnung ist ein Biest mit tausend
Leben, und jetzt belebte sie Dufts Augen aufs Neue. Er sah mich mit plötzlichem
Interesse an. »Eine interessante Idee. Es ist mir nie in den Sinn gekommen, mit
Klang zu experimentieren. Das werden wir als Nächstes erforschen. Aber wir
sollten auf einfachere Weise beginnen. Morgen werden wir eine Glocke läuten.«
    »Ich möchte keine Glocke hören,
Willibald.«
    »Es geht nicht darum, was du möchtest,
meine Liebe. Es geht um akustische Qualitäten.«
    »Willibald.« Ihre Stimme war müde.
    Duft lief mit akkuraten Schritten
neben dem Bett hin und her. »Es ist lediglich ein Anfang«, sagte er. »Um Daten
zu sammeln. Dann werden wir einen zweiten Glockenschlag hinzufügen, mit Tonhöhe
und Lautstärke experimentieren und so weiter.«
    Amalia ließ meine Hand fallen. Sie
knurrte leise, dann schloss sie verzweifelt die Augen und bedeckte die Ohren
mit den Händen.
    »Soll ich denn mein Leben mit
Glockenschlägen verschwenden, wenn ein Junge so singen kann wie er?« Frau Dufts
Stimme war wieder stark und brachte Duft dazu stehenzubleiben. »Lass ihn kommen
und für mich singen. Mache so viele Untersuchungen, wie du willst, aber lass
ihn singen.«
    Duft runzelte die Stirn. »Aber …« Er
überlegte einen Augenblick, und dann schüttelte er den Kopf. »Es ist unmöglich,
ihn vollständig zu erfassen, meine Liebe. Ein Glockenschlag ist ein
Glockenschlag, er ist konstant. Ein Junge ändert sich, sodass sich seine Stimme
von einem Augenblick zum nächsten wandeln kann. Voltaire sagt …«
    »Ich möchte Musik hören, Willibald.«
    Duft begann wieder, hin und her zu
laufen, aber langsamer als vorher, als befürchtete er, dass ihn eine plötzliche
Erschütterung des Hauses umstoßen könnte. »Vielleicht könnte Peter lernen, Horn
zu spielen.« Er sah auf die verschlossene Tür.
    »Ich sterbe, Willibald!«
    Ich erschrak bei dem Wort. Es war das
schlimmste der Welt. Duft erstarrte. Langsam drehte er sich um, um seine Frau
anzusehen. Amalia nahm meine Hand. Sie drückte sie, und aus irgendeinem Grund
wusste ich, dass auch ich ihre Hand drücken sollte. Das tat ich.
    »Bitte lass ihn kommen«, sagte Frau
Duft. »Es wird mich glücklich machen.«
    Willibald hob seine Maske an und
wischte sich mit dem Handrücken über die Nase. »Vielleicht … reglementierte
Zeiten … reglementierte Dauer.«
    »Er ist ein sehr ruhiger Junge. Viel
ruhiger als Peter.«
    »Wir müssen ganz langsam damit
beginnen.«
    »Natürlich.«
    »Für den Fall negativer Auswirkungen.«
    »Und ich bin die Schreiberin«, sagte
Amalia, und das Licht in

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