Der Kastrat - Harvell, R: Kastrat - The Bells
ihren blauen Augen begann wieder zu leuchten. »Ich
kann das besser als Peter.«
Willibald sah auf seine Tochter
hinunter. »Du?«
Amalia nickte. Sie sah mich an, aber
ihr Blick war nicht warmherzig – er war wie eine Herausforderung, als wollte
sie sagen: Siehst du, was du mit deiner Stimme
bewirkt hast? Bist du bereit?
Ich sah mich um und bemerkte, dass
mich jetzt alle anstarrten. Wie war es so weit gekommen? Natürlich wollte ich
für diese freundliche kranke Frau singen. Und doch: dieser strenge und wankelmütige
Mann, dieses großartige Haus, dieses Mädchen, das mich zittern ließ, wenn es
meine Hand nahm – ich gehörte nicht hierher.
»Dann ist es abgemacht«, sagte Duft.
»Morgen suche ich den Abt auf.«
Mit der Maske auf dem Mund küsste er
die Stirn seiner Frau. Dann schob er mich und Amalia zur Tür.
»Wartet«, sagte Frau Duft. Wir drehten
uns um.
»Wie heißt du?«, fragte sie mich. Auch
die Stimme meiner Mutter wäre so freundlich gewesen, hätte sie sprechen können.
»Er spricht nicht«, sagte Amalia.
Aber ich konnte es. »Moses«, sagte ich
mit der Stimme einer Maus. Amalia riss die Augen auf. »Gute Nacht, Frau Duft.«
XIV.
»Moses!« Mehr sagte der Abt
nicht, als er am späten Vormittag des nächsten Tages an der Tür zum Probenraum
erschien. Er spuckte meinen Namen aus, als wäre er etwas Unangenehmes, das an
seiner Zunge klebte, und der Ekel wich auch nicht aus seinem Gesicht, nachdem
er sich davon befreit hatte. Ulrich und die Jungen drehten sich zu mir um – ich
glaube, ich erkannte sogar Mitleid in ihren Blicken. Meine Füße glitten
geräuschlos über den Boden, und ich schlüpfte durch die Tür, ohne dem Abt
meinen Rücken zuzuwenden.
Sicher hatten sie ihm erzählt, dass
ich in Frau Dufts Schlafzimmer gesungen hatte. Er schloss die Tür und sah auf
mich hinab. Seine Nase zuckte.
»Die Musik«, sagte er, und mit jedem
Satz kamen seine kalten Augen meinem Gesicht näher, »ist kein Balsam. Sie ist
keine Tinktur, die der Arzt verschreibt. Ich baue eine Kirche, kein
Krankenhaus! Der Mann ist ein Narr.«
Ruckartig hob er sein Gesicht wieder
in die Höhe und drehte sich um, um durch ein Fenster auf die makellosen weißen
Mauern seiner Kirche zu schauen. Ihr strahlender Glanz ließ ihn blinzeln.
Er erhob einen Finger und hielt ihn
mir vors Gesicht. »Wenn es nicht so verflucht wenige Steinmetze in der Stadt
gäbe, käme es nicht in Frage. Aber er sagt, er hat welche – ein halbes Dutzend,
die er mir leihen kann. Warum ist ihm deine Stimme so viel wert?«
Seine Augen verengten sich, als er die
Frage stellte, und ich spürte, dass er versuchte, die Antwort in den weichen
Zügen meines Gesichts zu lesen.
Auf dem Korridor kam ein Novize an uns
vorbei. Er verbeugte sich vor dem Abt und versuchte vorbeizuhuschen, aber der
Abt hielt eine Hand in die Höhe. »Hol mir den Mönch Nicolai«, sagte er. Der
Novize eilte davon. Der missbilligende Blick des Abtes kehrte zu mir zurück und
blieb auf mir liegen, bis wir Nicolais schwere Schritte über den Korridor
hasten hörten.
»Vater Abt«, sagte er mit besorgtem
Gesicht. Er verbeugte sich beim letzten Schritt. »Ist etwas nicht in Ordnung?«
Der Abt zog seine langen Augenbrauen
in die Höhe, als wolle er zu Nicolai sagen: Solange
sich Personen wie du in dieser Abtei aufhalten, ist die Frage ja wohl
überflüssig?
Er sagte jedoch sehr langsam, als gäbe
er einem Bauerndiener eine Anweisung: »Dieser Junge wird jeden Donnerstagabend
die Vesper im Hause Duft singen. Stellt sicher, dass er sauber und ordentlich
gekleidet ist, wenn er bei der besten Familie dieser Stadt die Abtei
repräsentiert.«
»Natürlich«, sagte Nicolai. Er
lächelte mich an und wuschelte mir durchs Haar. »Im Hause Duft! Welche Ehre!«
Ich erwiderte zaghaft sein Lächeln. »Abt«, sagte Nicolai und legte eine Hand
auf den Arm des Abtes, »ich bringe ihn selbst dorthin.«
Der Abt wich zurück, als hätte Nicolai
ihn verbrannt. »Das werdet Ihr nicht!«
»Es ist nicht weit, nur …« Nicolai
schlängelte seine Hand, als wäre sie ein Fisch, der zum Fenster schwamm. Er
zuckte die Achseln. »Ich würde es finden.«
Der Blick des Abtes war streng. Er
wies mit dem Finger auf den Bau auf dem Platz. »Ich würde diese Kirche eher den
Reformatoren übergeben, als Euch am Abend durch die Stadt marschieren lassen. Ihr im Salon der Dufts!« Der
Abt erschauderte sichtlich.
Nicolai war offenkundig enttäuscht,
aber er legte mir eine Hand auf die Schulter. »Dann zeichne ich
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