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Der Kastrat - Harvell, R: Kastrat - The Bells

Titel: Der Kastrat - Harvell, R: Kastrat - The Bells Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Harvell
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Fenster, jede Tür. Das soll meine Karte
sein, wenn ich dich besuche.«
    »Wann kommst du mich besuchen?«,
fragte ich.
    »Ach«, sagte sie, »wahrscheinlich
nächste Woche. Ganz bestimmt, bevor der Monat um ist. Mach ein X, wo dein
Zimmer ist, damit ich dich finde.«
    »Aber sie lassen dich nicht rein«,
sagte ich. »Du bist ein Mädchen.«
    »Ich bin eine Duft «, sagte sie schlicht.
    Ich betrachtete das Dormitorium der
Mönche, fand die kleinen Fenster im Dach und zählte sie sorgfältig von hinten
ab.
    »Das ist meins«, sagte ich und machte
mit ihrem Bleistift ein X an der richtigen Stelle.
    In der Woche darauf fragte ich sie,
warum sie nicht gekommen sei. »Ich hatte so viel zu tun«, sagte sie. »Nächste
Woche schaffe ich es bestimmt. Warte am Abend auf mich.«
    Ich wartete – an jedem Abend über
Monate hinweg, aber sie kam nicht.
    Im folgenden Sommer gab es eine
lange Periode mit klarer, trockener Luft, in der sich Frau Dufts Zustand
besserte und ich jede Woche für sie sang. Dann kam der Herbstregen, und es ging
ihr wieder schlechter. Zwei Monate lang sang ich überhaupt nicht für sie. Ich
war wieder ein regulärer Chorknabe, obwohl ich die verstohlenen Konzerte im
Schlafzimmer jedem anderen Auftritt in Europa vorgezogen hätte.
    Eines Morgens erschien in unserem
Probenraum einer der Soldaten, die das Tor des Klosters bewachten.
    »Der Chorknabe Moses soll mitkommen«,
sagte er zu Ulrich. »Befehl des Abtes.«
    Ich erschrak heftig. Aber Ulrich
übergab mich der Obhut des Soldaten, und statt des Abtes fand ich Karoline Duft
vor, die am Tor wartete.
    »Komm«, sagte sie und machte sich auf
der Stelle auf den Weg. Ich lief hinter diesem Kegel von einer Frau über den
überfüllten Markt, wo sich die Menge für sie öffnete, als wäre es die Teilung
des Meeres. Sie sagte nichts, bis wir die geschäftigen Straßen hinter uns
gelassen hatten.
    »Der Arzt meint, sie wird sterben«,
sagte sie, als spräche sie über eine alte Stute, deren Zeit gekommen war. »Sie
hat nach dir gefragt, und er hat es nicht abgelehnt. Ich bin nicht
einverstanden, aber er hat den Verstand verloren.« Sie lief schneller, und ich
musste beinahe rennen. »Ein Duft ohne seinen Verstand ist kein Duft. Diese Frau
liegt seit sieben Jahren im Bett. Sie hat unser Fortkommen aufgehalten und
unseren Reichtum verbraucht. Und jetzt will sie ein Konzert.« Sie blieb abrupt
stehen und mein Kopf stieß an ihren weichen Hintern. Sie sah auf mich herab.
Sie schniefte. »Ich vermute, du willst ein Honorar haben.«
    Ich hatte keine Ahnung, dass Sänger
fürs Singen bezahlt werden.
    »Und du wirst es bekommen, ganz
sicher. Ein einziger Abt, der so viel Segen wirkt, und so viele Seelen, deren
Last er tragen muss. Wie er das aushält, ist mir ein Rätsel!«
    Ich war so daran gewöhnt, Remus durch
die Straßen zu leiten, dass ich beim Klang des Schlachtermessers meine Hand auf
Karolines breite Hüfte legte und schob.
    Sie schrie auf und gab mir eine
kräftige Ohrfeige. »Du abartiges Kind!«
    Ich rieb mir das Ohr, als wir um die
Ecke bogen. Sie massierte ihre Hüfte, als hätte meine Berührung sie verbrannt.
»Schlimm genug, dass diese Stadt voller Reformierter ist. Jetzt werden Frauen
auch noch von Kindern belästigt. Wie soll Willibald hier eine neue Frau finden?
Er muss weit in der Ferne suchen. In Innsbruck. Oder Salzburg. Ich muss noch
heute Abend einen Brief schreiben.«
    Sie drehte sich um und drohte mir mit
dem Zeigefinger.
    »Du bist Chorknabe. Du müsstest dich
vorbildlich verhalten, aber was tust du? In zwei Jahren wirst du Amalia
anstieren – trotz ihrer Missbildung. Und sie wird vermutlich zurücklächeln, wie
ich sie kenne.« Karoline schüttelte angewidert den Kopf. »Ein Kind! Und ein
Mädchen!«
    Wir kamen beim Hause Duft an, und
zum ersten Mal trat ich durch die Haupttür in die palastartige Eingangshalle.
Sie war ein hoher, zweistöckiger Raum mit einer breiten Flügeltreppe und einer
ausgedehnten Wandfläche, deren Putz gewiss Unmengen des klangleitenden
Kalksteins verdeckte: Diese Halle war gewissermaßen der Konzertsaal für die
Bühne des Hauses Duft; ungezählte Klangkanäle kamen hier zusammen. Das
Kindermädchen Marie kläffte irgendein Opfer auf Französisch an. Ein Ferkel
quiekte. Ein Mopp wurde schmatzend in einen Eimer getaucht. Ein Hackbeil
zerteilte einen Knochen. Zwei Küchenmägde schnatterten. Der Wind strich
stöhnend über das Dach.
    Karoline Duft war schon halb die
Treppe hinaufgestiegen, als ich immer noch

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