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Der Kastrat - Harvell, R: Kastrat - The Bells

Titel: Der Kastrat - Harvell, R: Kastrat - The Bells Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Harvell
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sie führten. Es war mir gleichgültig, ob ich gesehen
oder gehört wurde. Jedes Mal, wenn ich anhielt, hörte ich das Klopfen hinter
mir, es war, als würde es direkt an meinen Schädel klopfen. Ich rannte wie ein
erschrecktes Fohlen, lief in Mauern hinein, stolperte auf der unebenen Straße
und riss mir die Hände an den Kopfsteinen auf.
    Am Ende landete ich in einer
Sackgasse. Ich suchte die hohe Mauer nach einem Fluchtweg ab, aber ich fand
keinen. Also drehte ich mich um und lauschte. Klopf.
Klopf. Klopf. Ich hockte mich hinter ein
paar verrottete Fässer und zwang mich, keinen Laut von mir zu geben. Mein Atem
war nur das leiseste Flüstern, aber mein Herz schlug noch immer wie eine
Trommel. Klopf. Klopf. Klopf. Das Geräusch langte am Eingang der Gasse an. Das
Gespenst blieb dort stehen. Der Wind sammelte sich am Ende der Gasse und heulte
um die Fässer herum.
    Der Stock hatte die Richtung
gewechselt und kam die Gasse hinunter auf mich zu. Sein Klopfen war jetzt
weniger eilig. Klopf. Ein Stoß, während ich erschreckt einatmete. Klopf. Noch einer, während ich ausatmete.
    Klopf.
    Als die Gestalt näher kam, machte ich
schwache Schritte aus, so leise wie meine, wenn ich Dächer überquerte und
Schlafzimmer verließ. Es war kein Gespenst, sondern ein Mann, dessen Füße
tatsächlich den Boden berührten. Aber das tröstete mich nicht.
    Der Stock und die Schritte hielten an.
Der Wind ließ das Gewand des Mannes flattern. Sein Atem war leiser als meiner.
    Ich stand auf. Ich stolperte zwischen
die Fässer. Sie brachen auseinander und ihr morsches Holz wurde in der Gasse
verstreut. Er kam näher, ließ seinen Stock an meinen Füßen hin und her
schwingen. Ich wich zurück und drückte mich an die Mauer. Als sein Stock nach
meinen Füßen suchte, huschte ich an ihm vorbei, aber sein Ohr war schneller. Eine
Hand ergriff meinen Ärmel und riss mit solcher Kraft daran, dass meine Füße den
Halt verloren. Er zerrte mich zu sich heran. Ich wehrte mich gegen seinen
Griff, aber er ließ seinen Stock fallen – er polterte zu Boden – und
umklammerte mich mit beiden Händen.
    »Loslassen!«, brüllte ich. Er war alt
und verkrüppelt, und doch war ich für ihn nichts als ein schreiendes Kind. Mit
einer Hand zog er sich die Kapuze zurück. Unsere Gesichter waren nur ein paar
Zoll voneinander entfernt. Selbst in dem trüben Licht konnte ich jeden
zerfurchten Zug erkennen. Er hatte überhaupt kein Haar mehr. Seine Haut war rot
gefleckt und hatte weiße Stellen wie die Knorpel von rohem Lammfleisch. Seine
linke Wange war straff und glatt wie dünner Musselin, der bei der Berührung
einer Nadel reißen würde. Seine rechte Wange war blasig und vernarbt. Die
Augenhöhlen waren leer, die Augenlider faltige Hautfetzen.
    »Ich habe dich gefunden«, sagte
Ulrich.
    »Wer ist da?«, rief jemand aus
einem Fenster in der Gasse.
    »Komm mit mir«, flüsterte Ulrich. »Mein
Haus ist in der Nähe.«
    Ich versuchte verzweifelt, mich zu
befreien.
    »Ich werde dich nicht gehen lassen«,
sagte er. Wieder griff er mit beiden Händen nach mir. »Ist mir gleichgültig, ob
sie uns finden, auch wenn wir beide bestraft werden.«
    »Wer ist da? Wir sind bewaffnet!«,
rief die Stimme.
    »Komm!«, schnappte Ulrich. Er hielt
mich am Ärmel und zog. Ich war so gehorsam, wie ich es gewesen war, als er mich
noch durch so viele mitternächtliche Flure getragen hatte. Obwohl ich jetzt
größer war als er, brachte ich nicht den Mut auf, den verkrüppelten Mann zu
schlagen.
    Er klopfte sich seinen Weg die Gasse
hinauf. Er führte uns gekonnt durch die gewundenen Straßen, und ich erkannte,
dass er sich an Formen viel besser erinnerte als an Geräusche. Wir kamen an
einen Platz mit einem dreistrahligen Brunnen, und er zerrte mich in den Eingang
eines schmalen Hauses. Er schloss die Tür auf schob mich hinein.
    Das Haus hatte nur einen Raum im
Parterre. Alles war außergewöhnlich ordentlich. An einem kleinen Tisch stand
ein einziger Stuhl, ein Bett war ganz in die Ecke geschoben worden. Die Wände
waren schmucklos, weitere Möbel gab es nicht, auch keine Lampen oder Kerzen
irgendwelcher Art. Das einzige Licht war das Glühen der Kohlen in einem Ofen.
Eine steile Treppe führte nach oben in die Dunkelheit. Das Bett war ordentlich
gemacht, der Stuhl stand akkurat vor dem Tisch. Beim Ofen lag keine verstreute
Asche, auf dem Boden gab es keine Essensreste. Der Steinboden glänzte.
    Er schloss die Tür ab und steckte den
Schlüssel in die Tasche.
    »Schließt die Tür

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