Der Kater der Braut: Roman (German Edition)
auf keinen Fall von dieser miesepetrigen Stimmung anstecken lassen.
Leise vor mich hinsummend, zerrte ich einen Stapel Pullover aus dem Regal und deponierte ihn vor mir auf dem Verkaufstresen. Unglaublich, in welch kurzer Zeit es den Kunden gelang, das Geschäft in ein Schlachtfeld zu verwandeln. Wie Tornados fegten sie über Regale und Vitrinen, über Kleiderständer, liebevoll arrangierte Warenauslagen und arme, hilflose Verkäuferinnen wie mich hinweg. Zurück blieb eine Schneise der Verwüstung. Einige Pappenheimer hatte ich sogar im Verdacht, sich unter Vortäuschung falscher Tatsachen bei uns einzuschleichen. Sie tarnten sich als harmlose Kunden, gaben vor, eine Bluse, eine Hose oder irgendein anderes Kleidungsstück zu suchen, doch in Wirklichkeit wollten sie sich einfach nur mal nach Herzenslust austoben.
»Scheißwetter«, murrte meine Kollegin Jenny, die soeben aus dem Hinterzimmer kam. Interessiert beobachtete sie, wie ich einen Pullover nach dem anderen von dem zerwühlten Haufen nahm, ausschüttelte und danach wieder ordentlich zusammenfaltete. Die Handgriffe waren mir im Laufe der Zeit in Fleisch und Blut übergegangen. Man konnte mich mitten in der Nacht aus dem Schlaf reißen – ich faltete alles, was ich zwischen die Finger bekam, akkurat zusammen. Inklusive des Störenfrieds, der es gewagt hatte, mich zu wecken …
»Mensch, das geht ja echt fix bei dir«, lobte mich Jenny, machte aber keine Anstalten, mir bei der Arbeit zur Hand zu gehen. Stattdessen beugte sie sich über den Verkaufstresen, hauchte gelangweilt auf die Glasplatte und begann, mit dem Ärmel ihrer Bluse an der Scheibe herumzupolieren. Schon nach kurzer Zeit verlor sie jedoch die Lust an diesem unkonventionellen Frühjahrsputz und deutete mit einer Kopfbewegung in Richtung Radio. »Dieser Typ hat echt ’ne erotische Stimme. Findest du nicht?«
»Und ob!« Dank meiner Mutter, die fast alle seine Platten besaß, war ich seit frühester Kindheit bekennender Frank-Sinatra-Fan.
»Was meinst du«, Jenny knabberte nachdenklich an ihrer Unterlippe herum, »ob der wohl genauso sexy aussieht, wie seine Stimme klingt?«
»Das bezweifle ich. Ständig in so ’nem dunklen, stickigen Sarg rumliegen – das kann auf Dauer nicht gut für den Teint sein.«
»Frank Sinatra ist tot?« Jenny sah betroffen aus. »Wie schade.« Einen Moment später schien sie das schnelle und unerwartete Ableben des großen Entertainers bereits verarbeitet zu haben und lachte wieder. »Na ja, irgendwann beißen wir eben alle mal ins Gras. Aber eigentlich meinte ich gar nicht Frank Sinatra, sondern Philipp, den Radiomoderator.«
»Ach so.« In der Tat, mir war auch schon aufgefallen, dass dieser Radiofritze über eine sehr männliche, fast erotische Stimme verfügte, die bei seinen weiblichen Hörern unweigerlich den Gedanken an Mr. Bombastic – breite Schultern und den immer wieder gerne und viel zitierten Knackarsch – hervorrufen musste. Was das betraf, war ich persönlich misstrauisch. Meist versprach die Stimme mehr, als der dazugehörige Body halten konnte. Gelegentlich war auch ich schon auf diesen Etikettenschwindel hereingefallen. Was für eine Enttäuschung, wenn sich das imaginäre Holzfällersteak in natura als kleiner, unappetitlicher Fleischklops entpuppte. Womit ich diesem Philipp natürlich nichts unterstellen wollte, sondern lediglich eine Möglichkeit in Betracht zog, die erfahrungsgemäß in neunundneunzig Prozent aller Fälle zutraf.
Wenn man vom Teufel sprach … Die Musik verebbte, und Moderator Philipp meldete sich wieder zu Wort: »Endspurt, Leute! Wie jeden Mittwoch spielen wir heute Ich packe meinen Koffer . Mitmachen lohnt sich. Denn auf den glücklichen Gewinner wartet eine Reise nach Griechenland. Eine Woche für zwei Personen in einem Fünfsterneklubhotel. Na, wär das nichts? Ihr müsst lediglich nach der nächsten Musiknummer hier anrufen und mir sagen, was ich in der letzten Stunde in den Koffer gepackt habe. Und bevor der Deckel endgültig geschlossen wird, wandert jetzt noch ein kleines gelbes Quietscheentchen ins Reisegepäck.«
»Schwimmflügelchen, Badelatschen, Ohropax, Hawaiihemd, ein Kofferradio, Kohletabletten, Frisbeescheibe, ein Bikini oder ’ne Badehose, Zahnbürste, Taucherbrille und ein Quietscheentchen«, leierte ich die Reiseutensilien halblaut herunter.
»Hey, Belinda, ich hab ’ne tolle Idee: Warum schreibst du das ganze Zeug nicht einfach auf?« Jenny warf mir über den Verkaufstresen hinweg einen Beifall
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