Der Kater der Braut: Roman (German Edition)
heischenden Blick zu.
»Ein bisschen Gedächtnistraining hält die kleinen grauen Zellen in Schwung. Könnte dir übrigens auch nicht schaden.« Aber das ging bei Jenny zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus. Dazwischen war nämlich nicht viel, was es hätte aufhalten können. Meine Kollegin war wirklich eine Seele von Mensch, aber leider nicht besonders helle.
»Finito, der Koffer ist voll, Leute«, tönte erneut Philipps volle dunkle Stimme durch den Laden. »Und jetzt legt eure Zeitung, eure Arbeit oder euren Partner beiseite und greift zum Telefonhörer. Denn ihr wisst, heute ist Mittwoch, da könnt ihr richtig absahnen! Und hier noch mal die Telefonnummer: 0800-52 …«
O. K., das war’s. Ich stellte das Radio leiser und zog den nächsten Stapel aus dem Regal.
»Was tust du da?«, fragte Jenny mit weit aufgerissenen Kulleraugen.
»Ich falte Pullunder«, erklärte ich ihr geduldig. Mit den Pullovern war ich Gott sei Dank fertig.
»Nein, nein, vergiss die Pullunder. Ich meine das Radio.«
»Was soll mit dem Radio sein? Ich hab es leiser gestellt. Game over.«
»Von wegen game over. Jetzt geht’s doch erst richtig los! Du musst anrufen und die Reise gewinnen«, verkündete sie eifrig. »Das ist schließlich der Sinn dieses Spiels.«
O Gott, wie sollte ich ihr verständlich machen, dass ich nicht das geringste Bedürfnis verspürte, mich vor Zeugen zum Affen zu machen. Was das betraf, war der Zeitgeist irgendwie an mir vorbeigegangen. Früher hatten sich die Menschen nichts sehnlicher gewünscht, als in den Himmel zu kommen, heute wollten sie nur noch ins Fernsehen oder ins Radio. Und um dieses hochgesteckte Ziel zu erreichen, durfte man nicht verklemmt oder zimperlich sein. Lautete das Thema einer Sendung »Ich habe Schweißfüße und bin stolz darauf!«, dann bekannte man sich eben zu seinen Käsemauken. Ging es um »Impotenz«, riss sich jeder Depp darum, dem Publikum in epischer Breite von seinen Erektionsstörungen zu berichten. Erst kurz zuvor hatte ich in eine muntere TV-Talkrunde mit diesem Thema hineingezappt.
»Voll krass. Du kannst mir ’ne Schnitte nackt auf den Bauch binden, und bei mir rührt sich nichts. Ich schwöre! Absolut tote Hose«, bekräftigte dort ein Gast seine Daseinsberechtigung in der Sendung.
Bei so viel Offenheit war ich hin und her gerissen zwischen Mitleid und Erleichterung. Mitleid, weil sich in der Region oberhalb der Halskrause offenbar genauso wenig abspielte wie unterhalb der Gürtellinie. Erleichterung, weil dieser Idiot die nächste Generation wohl nicht mit seinem Erbgut beglücken würde.
Herrgott noch mal, so viel Elend konnte doch kein Mensch ertragen! Aber anstatt die Glotze sofort auszuschalten, hatte ich die Sendung mit dem gleichen wohligen Grusel verfolgt, den ich als Kind beim Besuch einer Geisterbahn verspürt hatte.
Natürlich wäre ich nie im Leben so vermessen, den therapeutischen Nutzen dieser Talksendungen infrage zu stellen. Wie gut, dass wir mal darüber geredet haben … Fein! Wenn der Leidensdruck der Betroffenen dadurch kleiner wurde, dass die Nachbarn, der Postbote, der Friseur und zigtausend andere Menschen danach Bescheid wussten, freute mich das aufrichtig.
Im Vergleich zu einer Talkshow war ein Gewinnspiel natürlich relativ harmlos, aber man konnte nie wissen, was für Geheimnisse oder intime Details ein geschulter Moderator einem ganz nebenbei entlockte.
»Ich ruf da nicht an. Feierabend«, verkündete ich kategorisch.
»Mensch, Belinda, überleg doch mal. Das ist so, als würde Michael Schumacher kurz vor der Ziellinie rechts ranfahren und seine Karre parken«, zerrte Jenny spielerisch an meinen Nerven. Ich wusste, sie würde mit der Quengelei nicht eher aufhören, bis ich entweder beim Radiosender angerufen oder ihr hoch und heilig versprochen hatte, es am kommenden Mittwoch zu tun. Und bevor ich eine Woche lang ihr Genörgel ertrug, griff ich lieber gleich zum Telefonhörer. Außerdem: Was sollte schon großartig passieren? Ich war mir sicher, ohnehin nicht durchzukommen. Und so war es dann auch.
Nach dreimal Klingeln sprang eine Bandansage an. Eine freundliche Frauenstimme bat in monotonem Singsang um ein wenig Geduld und forderte mich auf, in der Leitung zu bleiben.
Währenddessen versuchte Moderator Philipp, die Spannung in die Höhe zu treiben. »Die oder der Glückliche, der die Chance bekommt, diese Traumreise zu gewinnen, wird in ein paar Sekunden zu mir ins Studio durchgeschaltet.« Er machte eine kleine
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