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Der Kaufmann von Lippstadt

Der Kaufmann von Lippstadt

Titel: Der Kaufmann von Lippstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rita Maria Fust
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sich vergewissern, dass es sich tatsächlich um einen Lippstädter Absender handelte. Dort sprach er mit einem Archivar, der ihm zusagte, dass Oliver am späten Nachmittag eine Abschrift des Briefes abholen könne.
    Spontan ging Oliver ins Studentensekretariat und meldete ein Urlaubssemester an. Er müsse Schulden begleichen und daher viel arbeiten, log er. In der Cafeteria traf er einige seiner Kommilitonen, denen er auch das ›Schulden-Märchen‹ erzählte. Sie wunderten sich, denn die Thielsens waren als sehr wohlhabend bekannt. Oliver verabschiedete sich und ging.
    Im Lübecker Stadtarchiv erhielt Oliver die Abschrift seines Briefes. Getipptes konnte er entschieden besser lesen als die schwungvolle Handschrift des Briefschreibers. Er las den Brief mehrere Mal und fühlte sich, als sei er in einen historischen Roman hineingeraten. Dort werden oft alte Briefe gefunden, die ein Geheimnis offenbaren. Dieser Brief enthält ein Geheimnis, ein Leben und ein Schicksal.

    Anfang März bekam Oliver Thielsen die Zusage der Lipp­städter Tages Zeitung LTZ , dort von April bis Oktober ein Praktikum absolvieren zu dürfen.
    Ende März bezog Oliver eine kleine Einzimmerwohnung im Dichterviertel Lippstadts.

    28 www.lippstadt.de/kultur [gesehen am 01.06.2010]

3ter Junij 1764
    In der Nacht kommt Regen auf und bringt die erhoffte Abkühlung. Doch die Lippstädter können sich an diesem Morgen nicht darüber freuen. Der Schrecken des gestrigen Abends steckt ihnen in den Gliedern. Nichts ist mehr so wie zuvor. Schon vor dem Unglück war die Stadt durch den Siebenjährigen Krieg in einem baufälligen, maroden Zustand. Jetzt ist auch das Letzte verwüstet. Die Wucht der Detonation hat Dächer abgedeckt, und der Regen tropft ungehindert auf den Hausrat und verdirbt ihn zur Gänze. Die Dächer müssten zügig neu gedeckt werden, doch so schnell kann der städtische Ziegelofen nicht brennen.
    In der ersten Bestürzung hat niemand nach dem Ursprung des Unglücks gefragt. Dem kommandierenden Offizier der Stadt, Herrn Major von Drach, ist eine schriftliche Anzeige über den Vorfall des gestrigen Abends vorgelegt worden. Weil der zur Aufsicht über die vielen englischen Pulvermagazine bestellte englische Commissaire de Wyer abwesend ist, wird in der Anzeige er – Major von Drach – und der zur Inspektion über die englische Munition hier anwesende Herr Leutnant Schlüter angesprochen. Die Anzeige fordert, sämtliche Pulvermagazine zu überprüfen und durch deren Bewachung alle möglichen Vorkehrungen zu treffen, damit die Bevölkerung Lippstadts nicht noch einmal einer solchen Gefahr und solchem Schrecken ausgesetzt werde. Auch solle die Fortschaffung der Pulvervorräte ohne Zeitverlust von hier stattfinden. Herr Major von Drach veranlasst, dass alle neun Pulvermagazine der Stadt schon in der bevorstehenden Nacht von 36 Mann als beständige Posten ohne Ablösung bewacht werden. Er selbst stellt 18 Mann seines Moselschen Regiments, und auch der Magistrat kommandiert 18 Bürger zur Bewachung ab. Darüber hinaus sind 50 der principalesten Bürger Lippstadts aufgerufen, die Wachposten zu unterstützen. 29
    Im Hause Overkamp laufen, wie überall in Lippstadt, die Aufräumarbeiten. Wo bis gestern das edle Porzellan der gnädigen Frau gestanden hat, steht nun altes Emaille-Geschirr. Schon beim Frühstück schimpft Johanna Overkamp. »Es mundet mir gar nicht recht von diesem Geschirr. Das Emaille ist abgestoßen, und diese hässlichen dunklen Stellen verderben mir den Appetit. Auch meinen Kaffee möchte ich aus diesem … diesem … nicht trinken.«
    »Ach, meine Liebe. Seien Sie froh, dass uns nicht mehr zugestoßen ist. Wir kaufen neues Porzellan. Alles, was wir brauchen, und noch mehr, wenn es Ihr Herz erfreut. Zum Glück gedeihen die Geschäfte zum Besten«, besänftigt Ferdinand Overkamp seine Gemahlin und trinkt einen Schluck Tee.
    Die Geschäfte gedeihen zum Besten?, denkt Hinrich Jost Matthiesen, der mit am Tisch sitzt. Und ich vermutete, Overkamp wolle Schulden machen wegen der gelieferten Ware. Was kann er gestern nur von mir gewollt haben?
    »Helfen Sie im Kontor und sehen meinem Diener auf die Finger, mein lieber Matthiesen?«, reißt ihn Ferdinand Overkamp aus seinen Überlegungen. »In der Stadt gibt es viel zu tun. Ich höre mich um, wo ich helfen kann. Zum Mittagessen bin ich zurück, dann speisen wir gemeinsam im ›Goldenen Hahn‹. Ich muss unbedingt mit Ihnen sprechen. Auch in so großer Not erlaubt mein Anliegen keinen

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