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Der Kaufmann von Lippstadt

Der Kaufmann von Lippstadt

Titel: Der Kaufmann von Lippstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rita Maria Fust
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das muss sie nun auch nicht mehr. Ich habe es auch so erfahren.«
    Beide verstummen umgehend, als Franz, der Wirt, den Schankraum mit Dickemilch betritt. Zucker und Zimt sind bereits darauf gestreut. »Diese Nachspeise ist einer der wenigen Vorteile von schwülem Wetter«, sagt Ferdinand Overkamp.
    »Ja, stimmt. Und ich kann herausschmecken, dass die Lippstädter Kühe anderes Gras fressen als die Lübecker«, scherzt Hinrich Jost Matthiesen. Beide lachen und merken, dass die Spannung gewichen ist. Ferdinand Overkamp hat sein Anliegen vortragen können, und Matthiesen ist erleichtert, dass es Overkamp bei diesem Gespräch nicht um die Bezahlung der Destillate und Weine gegangen ist. Hoffentlich bleibt es so, denkt Matthiesen, denn diese Explosion hat einen Schaden angerichtet, der noch nicht zu ermessen ist. Sicher ist, dass dieses Unheil viele Lippstädter ruiniert hat. Ob das auch bei Overkamp der Fall sein wird, kann Matthiesen nicht beurteilen.

    Während Ferdinand Overkamp seine familiäre Angelegenheit regelt, sitzen die Amtsleute Lippstadts und der Magistrat im großen Rathaussaal zusammen und verfassen einen Bericht, der nicht nur den beiden königlichen Dicasterii zu Cleve, sondern auch dem höchsten königlichen General Directorio zu Berlin und der hochgräflichen Lippischen mitlandesherrlichen Regierung überreicht werden soll:

    Hochgebohrner Graf
    Gnädigster Graf und Herr!
    Ewer hochgrafflichen Gnaden müßen wir mit
    vieler Wehmuth unterthänigst melden, daß der
    Höchste unsere durch die viele Calamitaeten 32 des Krie-
    ges bereits sehr verwüstete und verminderte
    Stadt und Bürgerschafft an dem gestrigen Nach-
    mittage solchergestalt heimgesuchet, daß das
    unter der Wall-Bastion 3 gestandene En-
    glische Pulver-Magazin so mit ein paar hun-
    dert Tonnen scharffer Mousquet-Patronen
    auch geladenen Grenaten und anderm Pulver an-
    gefüllet gewesen, in Feuer aufgegangen,
    welcher unglückliche Vorfall dann fast
    alle Gebäude der südseitigen Helffte
    der Stadt dermassen verwüstet und
    ruiniret hat, daß fast alle Dächer dieser
    Häußer zerschmettert, alle und jede
    Fenster durch die grausame Zerschütte-
    rung mit ihren Gefachen und Glasern ausgefallen,
    die zunechst gelegene Häußer in ihren
    Wänden und substantial Stücken ausgewichen
    und verrücket, die ohnweit der bemelten Ba-
    stion stehende Evangelisch-Lutherische Kirche
    zu St. Jacob dermassen vorzüglich rui-
    niret worden, daß das Gewölbe und der
    Thurm gantze Riße empfunden, die Pfei-
    ler verwichen, die Orgell und Uhr in ein-
    ander gefallen, also dieses Kirchen-Gebäu-
    de vor der Hand gantz unbrauchbar
    geworden. Von allen übrigen Häußern
    und Kirchen der gantzen Stadt ist kein
    eintziges ohnbeschädiget geblieben, indem
    ohne Ausnahme die Fenster in allen
    Gebäuden eingestürzet, und übrigens
    alle gebrechlichen effecten an Spiegeln,
    Gläsern und porcellain und auch an
    dergleichen Geschirr, bevorab in dem Süd-
    seitigen Theil der Stadt durch die terrible
    algemeine Erschütterung zu nichte gegan-
    gen.
    […] 33

    29 Vgl.: St.R. A (Chalybaeus) A 505, S. 4.
    30 Vgl.: St.R. A (Chalybaeus) A 505, Seite 4.
    31 St.R. A (Chalybaeus) A 505, S. 3 und 4.
    32 Übelstand, Missstand, Notstand
    33 Landesarchiv NRW, Abteilung Ostwestfalen Lippe, L 36, E Section IV Nr. 2a. Der durch ein in Brand geratenes Pulvermagazin der Stadt Lippstadt zugefügte Schaden.

4ter Junij 1764
    Stadt-Syndicus Peter Henrich Clüsener, Ratsherr Dr. Berninghausen und die Amtmänner Johann Caspar Drüdeke und Johann Anton Arnold Möller treffen sich im Rathaus, um die schriftliche Schadensaufnahme infolge der Explosion vorzubereiten.
    »Jeder visitiert einen der vier Teile der Stadt. Herr Clüsener nimmt den Markt Hofen, Dr. Berninghausen den Nicolai Hofen, Herr Möller den Jacobi Hofen und Herr Drüdeke, Sie übernehmen hier den Stifts Hofen. Nehmen Sie sich Meister mit. Herr Clüsener, wen nehmen Sie mit?«, erkundigt sich Bürgermeister Dr. Johann Conrad Rose.
    »Zimmermeister Herson, Mauermeister Jacob Voß und Glasmacher Steinbicker. Ich habe sie bereits angewiesen. Sie warten vor der Tür«, berichtet Clüsener.
    »Gut. Machen Sie sich an die Arbeit. Es ist viel zu begutachten. Schreiben Sie eine Designation des Schadens nieder 34 «, fordert Dr. Rose.
    Vor dem Rathaus bilden sich die Gruppen und gehen in die Hofen. Das Rathaus und seine nahe Umgebung gehören zum Stifts Hofen.
    »Wo beginnt Ihr die Visitierung?«, erkundigt sich der Senator des

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