Der Kaufmann von Lippstadt
geht in sein Büro.
Wie nicht anders zu erwarten, ist in Lippstadt ein Verkehrschaos ausgebrochen. Die Autos stauen sich in alle Richtungen, als wären am Bahnübergang Südertor die Schranken geschlossen. Oliver fährt mit dem Rad los, um sich selbst ein Bild von dem zu machen, was an der Lippe geschieht. Aber schon am Freibad an der Bückeburger Straße wird er angehalten. Hier gehe es nicht weiter, er solle umdrehen und am besten durch die Möllerstraße fahren, rät jemand vom Ordnungsamt.
»Ich bin von der LTZ«, erwidert Oliver, zeigt seinen Presseausweis und wird durchgelassen.
Von Weitem sieht der Fundort des Sprengstoffs aus wie ein Standbild. Die schweren Traktoren mit ihren Anhängern fahren nicht. Der Ausleger des Baggers zeigt bewegungslos nach oben. Die Fahrer und Arbeiter sind nicht zu sehen. Feuerwehr und Krankenwagen stehen bereit. Nur das Blaulicht kreist ununterbrochen, und sechs Männer in Schutzanzügen begutachten den Fund im Boden. kmrd steht in großen weißen Buchstaben auf ihren dunklen Jacken. Kampfmittelräumdienst. Sprengstoffspürhunde stehen bei Fuß und Detektoren sind im Einsatz.
Um auf die andere Seite der Lippe, zum Hellinghäuser Weg, zu kommen, muss Oliver einen weiten Bogen über die Brücke der Udener Straße machen. Nach wenigen Metern wird er wieder vom Ordnungsamt aufgehalten. »Ich bin von der LTZ«, sagt Oliver und hält wieder seinen Presseausweis hin.
»Und? Schützt der vor Explosionen? Macht unverwundbar? Sehen Sie zu, dass Sie wegkommen. Hier kann gleich alles in die Luft fliegen«, regt sich der Mann auf.
Missmutig fährt Oliver wieder zur Redaktion der LTZ. Es ärgert ihn, das Szenario an der Lippe nicht beobachten zu können. Aber in der Redaktion erfährt er am ehesten alle Neuigkeiten.
Einige Stunden später gibt der Pressesprecher der Stadt im Stadthaus am Ostwall zusammen mit einem Vertreter der Lippstädter Polizei und dem Leiter des kmrd eine Presseerklärung ab: Die heutige Großsperrung im Bereich Jahnplatz sei wegen eines Bombenfundes vorgenommen worden. Auf der Beckumer Straße stadteinwärts habe es in Höhe des rewe einen Auffahrunfall gegeben. Dort seien fünf Autos ineinander gefahren. Ein Fahrer wurde verletzt ins Krankenhaus gebracht – das nur nebenbei.
Bei Bombenfunden sei es meistens so, dass es sich um sogenannte Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg handle. Das sei bei dem heutigen Fund nicht so. Die Leiterin des Stadtarchivs, Frau Dr. Becker, habe versichert, dass laut Aktenlage im Zweiten Weltkrieg nur eine einzige Bombe auf die Kernstadt gefallen sei, und zwar am 10. März 1945 im Bereich Stirper Straße-Weingarten-Hasenfang. Heute habe man Granatenhülsen, Kugeln und Beschläge, die vermutlich von Holzkisten stammen, gefunden. Die Holzkisten selbst seien natürlich verrottet. Das Archäologische Bodendenkmalpflegeamt Münster kläre nun, aus welcher Zeit die eisernen Objekte stammen. Nachdem mit Hilfe von Hunden und modernstem technischen Gerät sichergestellt worden sei, dass es sich lediglich um leere eiserne Hülsen handle, die eben nicht oder nicht mehr mit Sprengstoff gefüllt seien, werde der Fund nun geborgen. Ohnehin habe jahrhundertealtes Pulver keine oder nur ganz, ganz geringe Sprengkraft.
Interessanterweise habe man unter den Granatenhülsen ein Skelett gefunden, welches nun ebenfalls nach Münster in die Pathologie gebracht werde. Mehr wolle man dazu zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen.
Während auf die Untersuchungsergebnisse gewartet werde, werde die Fundstelle in Kürze wieder freigegeben, sodass die Renaturierungsarbeiten fortgesetzt werden können.
Die drei Männer danken für das Erscheinen der Presse und verabschieden sich. Die Reporter springen auf: »Sagen Sie noch was zu dem Toten!«
»Ist das Skelett so alt wie die Granaten?«
»Handelt es sich um einen Mann oder eine Frau?«
»Ist er durch die Granaten gestorben?«
Alle rufen ihre Fragen, doch weder der Pressesprecher der Stadt Lippstadt noch der Vertreter der Polizei oder der Leiter des kmrd gehen darauf ein.
40 Die Umfluten erlebbar machen. Stadt will einstigen Festungsgraben stärker in den Blick rücken und via Grüngürtel und Wegenetz miteinander verbinden. In: Der Patriot, 10. April 2010.
41 Lippstädter Stadtrundgänge. Das historische Lippstadt entdecken. Altstadt-Rundgang. Wasser-Rundgang. Hg. v. Stadt Lippstadt, Fachbereich Stadtentwicklung und Bauen. 2008.
42 Vgl.: Willi Kröger: Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen
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