Der Kaufmann von Lippstadt
keine Widerworte zu. »Sie ahnen gar nicht, was ich alles …«
»Guten Abend, die Eheleute Overkamp.« Küchenmeier und Pape sind ihnen entgegengekommen. »Gnädige Frau«, beide verbeugen sich.
»Guten Abend«, sagt Johanna Overkamp.
»Guten Abend. Was hat Euch so in Rage gebracht? Ich sagte noch zu meiner Gemahlin, man solle Euch zur Räson bringen. Was ist denn?«
»Ach, der Plange bringt Unruhe in die ganze Stadt. Was der alles erzählt. Lügen, nichts als Lügen«, meint Pape.
»Woher wollen Sie das wissen?«, fragt Overkamp. »Haben Sie die Viehhirten gesehen? Das wird Leichtsinn gewesen sein. Dummheit. Schade um die beiden jungen Burschen. Aber ich bin sicher, dass sich die beiden an den Pulvervorräten zu schaffen gemacht haben. Und dann – ein Funke und alles geht in die Luft.« Je häufiger Overkamp diese Behauptung wiederholt, um so mehr beginnt er zu glauben, dass es tatsächlich so war. Es macht ja auch alles Sinn – bis auf die Sache mit dem Funken. Wo sollte dieser hergekommen sein? Welche Schwierigkeiten es zuweilen macht, ein Feuer zu entfachen, hat Overkamp erfahren müssen. Seit heute weiß er, dass er beim Glutholen auch noch gesehen worden ist.
»Das glaube ich nicht. Der Johann hat nie geraucht. Er war ein guter Junge«, verteidigt der Clusepförtner Küchenmeier seinen Hirten.
»Meiner hat auch nicht geraucht«, pflichtet ihm Pape bei. »Für den Hermann lege ich die Hand ins Feuer.«
»Na, dann passen Sie auf, dass Sie sich nicht verbrennen. Den Burschen guckt man nur vor den Kopf. Was da für Flausen drin sind, weiß doch niemand. Ich wünsche den Herren einen schönen Abend.« Overkamp nickt zur Verabschiedung. Als sie in der Fleischhauerstraße sind, sagt Ferdinand Overkamp: »Ich weiß gar nicht, warum die ihre Burschen so verteidigen. Sind doch ohnehin tot.«
»Ferdinand, bitte!«, ruft Johanna empört.
»Ach, meine Liebe, ist doch wahr! Warum müssen die sich nur so aufregen. Die Schuldigen sind tot. Was soll man noch länger im Dreck wühlen und unbescholtene Bürger behelligen? Man sollte die leidige Sache auf sich beruhen lassen«, fordert Overkamp entschieden. In Gedanken berichtigt sich Overkamp selbst: Der Schuldige ist tot. Wie es dazu gekommen ist, dass noch ein weiterer Bursche bei der Explosion umgekommen ist, weiß Overkamp nicht.
13. April 2010
Der Leichen- und Granatenfund ist der Aufmacher der beiden Lippstädter Zeitungen. Im Hellweg–Radio gibt es kein anderes Thema, und auf WDR 2 kam bereits am frühen Morgen ein ausführlicher Beitrag.
Oliver hat am Vormittag einen Termin im Stadtarchiv. In der letzten Woche hat er einer Mitarbeiterin den Brief aus dem Besitz seiner Oma gezeigt und gefragt, ob der Name Overkamp in Lippstadt bekannt sei oder war. Im Telefonbuch ist kein Eintrag zu finden, das hatte er sofort geprüft.
Oliver stellt sein Rad im Carl-Laumanns-Weg ab und betritt das Archiv. Er hat um Dokumente gebeten, die ihm helfen könnten, mehr über einen Mann namens Ferdinand Overkamp zu erfahren. Eine Mitarbeiterin hat verschiedene Original-Dokumente aus dem Bestand geholt, die sie ihm nun im Lesesaal vorlegt. Wenn er Hilfe bräuchte, solle er sich melden, bietet sie ihm an und will den Raum verlassen.
»Bitte, ja«, sagt Oliver. »Ich kann kaum etwas lesen. Diese geschwungene Schrift. Beinahe wild.« Er lacht verlegen. Die Archivmitarbeiterin setzt sich zu ihm und liest ihm vor:
Stadtarchiv Lippstadt, St.R. …
Actum Lippstadt, den 11ten December 1764
In hodierno primo termino referirt Pedellus Strenger
das Land des Kauffmanns Overkamp um gesagt zu haben
1 Morgen Land im Wein Garten ist aufgeboten zu 50 Rt.
soll secundus terminus abgehalten werden 46
Stadtarchiv Lippstadt, St.R. …
Actum Lippstadt, den 4ter April 1765
[…] und Overkamps Mobilien noch heute gepfändet
werden
[…] zur Sicherheit arestiren
sind folgend in der Großen Stube rechterhand ein großer
Spiegel, ein Nußbaum-Schranck mit edlem porcellain,
ein großer Eichtisch nebst samtenen Sitzmeubles, und
geschliffenes Glas […]
Strenger Pedellus Curialis 47
Stadtarchiv Lippstadt, St.R. …
Actum Lippstadt den 2ten Junij 1765
[…] durch den Pedellen Strenger die Meubles des Over-
kamps verkaufen zu laßen und demnächst aus den
daraus zu lösenden Geldern seine Schulden bezalen. 48
Stadtarchiv Lippstadt, St.R. …
Actum Lippstadt den 15ter October 1765
[…] wie Overkamp sich genöthigt sehe zur Tilgung
seiner Schulden sein Haus an den
Weitere Kostenlose Bücher