Der Kaufmann von Lippstadt
jüdischen Kirchhof passiert. Da werden immer wieder Teile der Uferböschung weggespült. 64 Manche behaupten, dass schon Grabsteine und sogar Gebeine davon fortgeschwemmt wurden. Also, graben Sie tief, damit die Granaten und die Kugeln bis zum Jüngsten Gericht hier liegen bleiben.«
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»Köpner, warten Sie hier, wenn die Männer gehen. Wir müssen reden«, flüstert Ferdinand Overkamp im Vorbeigehen.
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Als die Grube endlich groß und vor allem tief genug ist, stapelten immer zwei Männer die schweren Kisten mit Granaten auf- und nebeneinander. Die Säcke mit den Kugeln haben sie hinuntergeworfen und verteilt.
»Männer, es waren lange und anstrengende Tage. Wir machen Montagmorgen die Grube zu. Jetzt wird es gleich dunkel. Gehen Sie nach Hause!«, ruft Amtmann Möller.
Die meisten Helfer gehen wortlos und erschöpft Richtung Süder oder Soest Tor, um in die Stadt zu gelangen. Gerne wären sie heute fertiggeworden, dann hätten sie den heiligen Sonntag im sicheren Lippstadt verbringen können.
»Herr Overkamp, was ist? Kommen Sie?«, ruft Caspar Engerling, der es nicht richtig findet, einen Mann alleine auf Helfmanns Land zurück zu lassen. Sie sind alle zusammen gekommen, haben zusammen malocht und nun sollten auch alle zusammen in die Stadt zurückkehren.
»Gehen Sie doch schon vor. Ihre Frau wartet bestimmt. Ich suche noch meinen Spaten. Der muss hier irgendwo sein«, gibt Ferdinand Overkamp zurück
Viele Schritte entfernt sitzt Anton Köpner hinter der dicken Weide auf dem Boden. An den Stamm gelehnt, wartet er, bis auch der Letzte der Männer gegangen ist. Vorsichtig lugt er nun seitlich des Baumes hervor. »Pssst! Ist der Engerling weg?«, flüstert Köpner.
»Nein, warten Sie noch!«, rät Overkamp leise. Anton Köpner lehnt sich wieder an den Weidenstamm und sieht den letzten Sonnenstrahlen zu, wie sie weit hinter dem Stift Cappel verschwinden. Overkamp nimmt seinen Spaten und schleicht seitlich zur Weide.
Er holt weit aus, und mit Schwung trifft die seitliche Kante des Spatens Köpners Kehlkopf. Zur Hälfte steckt das Spatenblatt vorne im Hals. Mit einem Ruck reißt Overkamp das Blatt heraus, das Blut spritzt. Der Kopf fällt vorne rüber auf die Brust. In Windeseile greift Overkamp zu dem leeren Kugelsack, den er sich beim Aufräumen in den Hosenbund gesteckt hat. Er drückt den Sack fest auf die Wunde, damit er keine Spuren hinterlässt, doch das Blut quillt zwischen seinen Fingern durch. Es ist fast dunkel. Kurzerhand schleppt Overkamp Köpner zur Lippe und legt ihn so, dass das ausströmende Blut vom Wasser weggespült wird. Dann läuft er zur Munitionsgrube hinüber und springt hinein. Das Herz schlägt ihm bis zum Hals. Die Wut auf Köpner, der ihn wegen dieser unseligen Angelegenheit erpresst hat, und das Entsetzen über seine eigene Tat lassen ihn voll zorniger Kraft Kiste um Kiste zur Seite stemmen, bis genügend Platz für den Toten ist.
Ferdinand Overkamp eilt zurück zur Lippe. Wolken sind vor den Mond gezogen und machen es so dunkel, dass er kaum die eigene Hand vor Augen sieht. Er stolpert und schlägt lang hin. Als er sich aufrafft, erkennt er Köpner, der mehr tot als lebendig aus dem Wasser gekrochen ist. Nun liegt er endgültig leblos zwischen Lippe und Munitionsgrube im plattgetretenen Gras. Die Wolken ziehen fort, und der Vollmond scheint hell. Overkamp wuchtet den Toten hoch, schleppt ihn zur Grube und lässt ihn unsanft hineinfallen. Mit einem dumpfen Geräusch schlägt Köpner auf eine Granatenkiste auf. Ein Ast knackt. Erschrocken blickt Overkamp sich um und springt schnell in die Grube. So kann Köpner nicht liegen bleiben. Die Leiche muss bis auf den Erdboden. Overkamp zerrt und reißt, doch Köpners Kleidung hat sich an einem der Beschläge der Kiste verfangen. Mit einem Ruck reißt der Stoff, und der Tote fällt neben der Kiste auf den Erdboden. Overkamp legt ihn gerade auf den Rücken und wuchtet die erste Granatenkiste auf Anton Köpner. Diese steht jetzt höher als die anderen. Am Montag würden die Männer wiederkommen und sich fragen, warum die Kisten so schief stehen. Er wuchtet die Granatenkiste von der Leiche hinunter, zerrt den Toten zur Seite und klettert wieder aus der Grube hinaus. Einen Augenblick später kommt er mit Spaten und Spitzhacke zurück. Wie im Rausch rammt er wieder und wieder die Spitzhacke in den Boden der Grube, bis er mit dem Spaten das Erdreich zur Seite schaufeln kann. Es dauert lange, bis Overkamp ein Loch für Anton Köpner
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