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Der Kaufmann von Lippstadt

Der Kaufmann von Lippstadt

Titel: Der Kaufmann von Lippstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rita Maria Fust
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so das Geld für ihren Aufenthalt verdient. Mir hatte Kate, so heißt die Australierin, eine Stelle als Kellnerin besorgt, was aber doof war, weil ich immer abends und nachts gearbeitet habe, wenn Sara die Kinder im Bett hatte. So konnten wir anfangs kaum etwas unternehmen. Nach ein paar Wochen ergab sich dann, dass ich in einer Surfschule aushelfen durfte«, erinnert sich Annika.
    »Du kannst surfen?«
    »Jetzt schon. Ein bisschen jedenfalls«, erklärt sie. »Aber ich war dort nur für die Ausleihe der Boards zuständig, habe die Kasse gemacht und eine Menge gelernt, über Strömung, Brandung, Wellen und Wasserwalzen. Über Wind- und Kitesurfen, worauf es dabei ankommt, und dass die Freaks immerzu auf eine Monsterwelle warten. Theoretisch habe ich es jetzt voll drauf, praktisch trieb ich meist kopfunter im Südpazifik. Die Jungs haben sich irrsinnig über mich kaputtgelacht. Manchmal haben wir abends Lagerfeuer am Strand gemacht und Coopers oder Heineken getrunken. Das war total schön. Colin, dem gehört die Surfschule, hat dann oft auf seiner Gitarre gespielt. Ich werde nie vergessen, wie er an unserem vorletzten Abend immer wieder ›Yellow Submarine‹ gespielt hat«, lacht Annika, »so lange, bis Marc sich das gelbe Bord genommen hat und sich in den Pazifik gestürzt hat, als wäre er ein U-Boot. Wir haben Tränen gelacht«, erinnert sich Annika und kann sich auch jetzt vor Lachen kaum halten. »Ich kann dir noch so viel erzählen. Über unser Bungee-Jumping, unsere Survival-Tour ins australische Outback zu den Aborigines, die war allerdings im Vorfeld von uns gebucht worden, bei so einem Online Reisebüro. Dann haben wir mehrere Male Shopping in Brisbane gemacht. Und wir sind Kanu gefahren. Auf einem Fluss, reißender als deine Lippe.«
    »Na ja, man kann ja eine Menge über die Lippe sagen, aber ein reißender Fluss ist sie nun wirklich nicht«, muss Oliver zugeben und blickt auf seine Uhr. »Ich glaube, ich muss jetzt leider los.«
    »Ja, ich weiß. Deine Lippstadt-Mission ist wichtiger als alles andere«, meint Annika und findet es schade, dass Oliver beinahe wie besessen immer nur dieses eine Thema im Kopf hat.
    »Überleg es dir mit heute Abend. Es wird bestimmt schön, und ich könnte dich meinen Freunden vorstellen«, versucht Annika, gegen das Thema anzukommen.
    »Ja, mal gucken«, verspricht Oliver und lässt sich deutlich anmerken, dass er mit seinen Gedanken nicht bei Annika ist.

    Nachdem sie den Kaffee bezahlt haben, gehen Annika und Oliver die Westernstraße entlang zum Dom. Vor dem Erzbischöflichen Generalvikariat verabschieden sie sich. Oliver geht hinein.
    »Guten Tag, mein Name ist Oliver Thielsen. Ich habe ab 14 Uhr im Lesesaal einen Platz reserviert.«
    »Unser Archiv ist im Konrad-Martin-Haus untergebracht. Sie gehen am besten rechts am Gebäude vorbei, über den Kleinen Domplatz und dann sehen sie es schon«, sagt die Dame am Empfang.
    Im Lesesaal angekommen, bittet Oliver um die Einsicht in die Lippstädter Kirchenbücher aus den Jahren 1740 bis 1770. Er möchte über die Lippstädter Familie recherchieren, um sich so nach und nach ein Bild von ihnen zu machen. Doch der Referent für Kirchenbücher erklärt ihm, dass in Lippstadt bis 1807 ein protestantischer Pfarrzwang bestanden habe. Alle Amtshandlungen – z. B. Hochzeiten, Taufen und auch Beerdigungen – mussten die Lippstädter Katholiken von einem evangelischen Pfarrer vornehmen lassen. Es gebe also keine katholischen Kirchenbücher, er solle es bei der evangelischen Kirchengemeinde in Lippstadt oder im Archiv des westfälischen Landeskirchenamts in Bielefeld versuchen. Das erste Lippstädter Kirchenbuch, das er hier in Paderborn einsehen könne, sei von 1807 aus St. Nicolai.

    Im Café am Dom bestellt Oliver einen Espresso. Er ärgert sich über sich selbst, weil er gar nicht auf die Idee gekommen ist, dass die Lippstädter Familie evangelisch gewesen sein könnte. Das kommt davon, wenn man von sich auf andere schließt, denkt er. So was Blödes.
    Oliver ist hin und her gerissen. Natürlich möchte er den Abend mit Annika verbringen. Ob er ihre Freundinnen dabei kennenlernt, ist ihm allerdings nicht so wichtig wie Annika selbst. Und gleichzeitig möchte er alleine zu Hause seinen Gedanken freien Lauf lassen, sprich: über die Familie Overkamp nachdenken. Was denen wohl geschehen ist? Da er allerdings ohne neue Fakten auch keine neuen Erkenntnisse über die Familie bekommen wird, nimmt Oliver sein Handy und ruft Annika an. Sie

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