Der Kaufmann von Lippstadt
Liste an, in der er Einnahmen und Ausgaben verzeichnet:
Einnahmen:
Pacht
Verkauf Weingarten ?
Rechnungen Buddeus 1 Rthlr 23 Mgr.
Zu verkaufende Waaren: wenig
Ausgaben:
Köpner 5 Rthlr Wein
Engerling 395 Rthlr 17 Mgr. Waaren Buch, fordert mehr, alles
Schneider 19 Rthlr 10 Mgr.
Schuster 11 Rthlr 34 Mgr.
Jahrmarkt (ein Vermögen)
Bediensteten Buersmeyer Agnes Berta
Schulgeld Michaelis bis Ostern Elementarschule 24 Mgr. Holzgeld 6 Mgr. Gymnasium 2 ½ Rthlr
Wortzins 4 Pfennig
Steuern 3 Rthlr 4 Mgr. 6 Pfennig
Kopf und Professionssteuer 2 Rthlr
Schornsteinfeger 4 ½ Mgr.
Victualien
Offene Rechnungen 17 Rthlr 10 Mgr 9 Pfennig
Auf Ehrenwort erhaltene Waaren knapp 25 Rthlr
Besitz
Haus und Meubles
Land am Judenfriedhof an E übertragen
Land auf Festungsgürtel
Stunde um Stunde sitzt er bewegungslos an seinem Schreibtisch, starrt auf die Liste und grübelt. Erst als Berta, die alte Magd, zum Abendbrot ruft, merkt er, wie die Zeit vergangen ist.
Mit Messer und Gabel zerlegt er sein Brot in kleinste Teile, ohne auch nur einen Happen davon zu essen. Dass seine Familie mit ihm am großen Eichentisch in der guten Stube sitzt und speist, nimmt er kaum wahr. Noch bevor die Mahlzeit beendet ist, legt er sein Mundtuch auf den Teller, steht auf und verlässt erst den Raum, dann das Haus.
Unangenehme Stunden stehen Overkamp im ›Goldenen Hahn‹ mit Engerling bevor. Die Demütigungen nagen an ihm. Sie ist entsetzlich, diese Schmach. Sie zehrt.
96 In Anlehnung an: St.R. B 1670. Lippstädtische Zeitung. Mit Königl. Preuß. auch Hochgräfl. Lipp. Allergnad. u. Gnad. Freiheit. Anno 1777, No. 109, Donnerstags, den 10ten Julii.
20ter December 1764
In der letzten Nacht hat Ferdinand Overkamp kein Auge zugetan. Immer wieder sind seine Gedanken zu Anton Köpner abgeschweift. Overkamp hat überlegt, in welchem Zustand der Leichnam ist, ob er verwest, ob er von Maden durchfressen ist oder ob die Maden nach einem halben Jahr schon nichts mehr zu fressen haben und ob Maden überhaupt so tief im Erdreich leben können. Sobald Overkamp die Augen schließt, sieht er die kriechenden und wimmelnden weißen Tierchen. Im letzten Winter hat Berta, die alte Magd, einen Braten nicht richtig eingelegt, sodass Maden daran Gefallen fanden. Das Kreischen der Magd, als diese den Befall entdeckte, hat er noch so im Ohr, dass er selbst jetzt, mitten in der Nacht, davon aufschreckt. Er hat seine Gedanken nicht mehr im Griff, ständig entgleiten sie ihm. Ich bin nicht mehr Herr meiner Sinne, muss er sich selbst gestehen.
Overkamp laufen Tränen der Verzweiflung über sein Gesicht und tropfen auf die Bettdecke. Bisher ist es ihm nicht möglich gewesen, das Problem mit dem Engerling zufriedenstellend zu lösen. Dessen Dreistigkeit und Selbstverständlichkeit muss er, Overkamp, ohnmächtig über sich ergehen lassen. Immer wieder und wieder kommt Engerling mit Forderungen ins Overkamp’sche Kontor. Als wäre Engerling nicht ganz gescheit, nennt er das Kontor und zuweilen auch das ganze Haus sein Eigen. »Werter Herr Overkamp, bitte räumen Sie in meinem Kontor auf. Ich dulde diese Unordnung nicht«, hat Engerling bei seinem letzten Erscheinen gefordert. Es fehlt mir an Worten, denkt Overkamp dann und schweigt. Und so langsam schwindet seine Kraft. Einst war er der hart verhandelnde Kaufmann Ferdinand Overkamp, und er war es, der Forderungen stellte, die andere zu erfüllen hatten. So hat er es in Lippstadt zu viel Ansehen und Wohlstand gebracht. Seiner Gemahlin Johanna hat er bisher jeden Wunsch erfüllen können, sodass sie sich stets wie die Damen von Welt nach französischer Mode putzen und zieren konnte, und auch sein Haus macht bei seinen Besuchern einen prächtigen Eindruck. Selbst sein Kontor hat er mit Stuck und kräftiger Farbe geschmückt, jeder sollte sehen, wie vermögend er ist. Das Land am Wein Garten hat sein Vater – Gott sei seiner Seele gnädig – kurz vor seinem Tode erworben. Nur noch wenige Stunden wird dieses Stück Land der Familie Overkamp gehören. Zur Mittagsstunde des 21. Dezembers wird sein Land versteigert. Der Stadt-Syndicus Clüsener hat verlauten lassen, dass er das Land haben wolle. Er könne es sich leisten, er sei schließlich nicht so ein armer Schlucker wie sein Stiefbruder Buddeus, hat er vor ein paar Tagen vor dem Rathaus angegeben. Wenn er, Clüsener, mit dem Buddeus fertig sei, könne dieser nicht einmal mehr seine Barbier-Rechnung oder gar seinen Perückenmacher bezahlen. Wie hässlich hatte
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