Der Kaufmann von Lippstadt
Angelegenheiten mische. Heute soll sein Tag werden! Einen Morgen Land besitzt er bereits am Wein Garten, und das Overkamp’sche Land grenzt direkt daran. Ein Morgen plus noch ein Morgen gleich zwei Morgen, rechnet er sich selbst vor und kann kaum erwarten, dass das Land seines wird.
Häufig zieht Clüsener seine Uhr aus der Tasche, aber wie immer, wenn man sich auf etwas freut, schreitet die Zeit nicht voran. Als seine Uhr endlich kurz vor zwölf zeigt, geht er zum Rathaus.
»Die Versteigerung ist bereits vorbei«, empfängt ihn Amtmann Möller. »Ich dachte, Sie hätten auch bieten wollen?«
Wutschnaubend ringt Clüsener nach Luft. Das muss ein böser Traum sein. »Wie können Sie es wagen!«, brüllt er Amtmann Möller an. »Warum warten Sie nicht auf mich?«
»Wer nicht kommt zur rechten Zeit … Sie wissen schon. Wir richten uns nach der Stadtuhr, auch wenn sie falsch geht. Sie ist das städtische Hoheitszeichen, das wissen Sie doch, mein lieber Clüsener«, gibt Amtmann Möller spitz zurück und wendet sich zum Gehen.
»Was? Wer? Wer hat es ersteigert?«, fragt Clüsener und rauft sich sein Haar. »Sagen Sie es mir! Wer?«
»Ihr Stiefbruder, Dr. Buddeus«, antwortet Amtmann Möller betont ernst.
»Was? Das darf nicht wahr sein! Der hat kein Geld! Das wissen Sie!«, schreit Clüsener und atmet schwer. »Das ist eine Unverschämtheit. Herr Möller, Sie enttäuschen mich.« Clüsener verliert vollends die Fassung. »Wie können Sie es wagen, Sie … Sie …«
»Herr Clüsener, bitte beruhigen Sie sich. Das war nur ein Jux. Dr. Buddeus hat das Land nicht gekauft. Es ist doch in der ganzen Stadt bekannt, dass Ihr werter Stiefbruder kein Geld hat.«
»Was, Sie spaßen? Sie spaßen?«, schreit Clüsener. »Wie können Sie nur? Sie wissen doch …«, Clüsener fehlen die Worte. »Warum …?«
»Niemand in ganz Lippstadt regt sich so herrlich auf wie Sie, werter Herr Clüsener«, erklärt Amtmann Möller und freut sich, dass seine Rechnung aufgegangen ist.
»Ist die Versteigerung wirklich vorbei?«, erkundigt sich Stadt-Syndicus Clüsener vorsichtig bei Bürgermeister Dr. Rose. Er weiß nicht mehr, was er glauben kann und was nicht.
»Ja, sie ist vorbei. Es ging ganz schnell. Es hat nur Caspar Engerling geboten«, berichtet Dr. Rose und kann sich ein herzliches Lachen nicht verkneifen. Die Verhohnepipelung ist vorzüglich gelungen. Sonst müssen immer alle unter Clüseners harten und zu oft auch verletzenden Worten leiden, heute sollte es einmal andersherum sein.
»Engerling? Hat der etwa das Land bekommen?«, hakt Clüsener nach und kann sich kaum im Zaum halten. »Der hat sich nicht gemeldet und seine Kreditwürdigkeit beantragt. Das geht so nicht. Das ist nicht rechtens! Herr Amtmann Möller, ich werde Sie verklagen!«
Amtmann Möller und Dr. Rose biegen sich vor Lachen. Sie können kaum sprechen. Dr. Rose wischt sich sogar mit einem edel bestickten Tuch Tränen aus den Augenwinkeln.
»Herr Clüsener, selbstverständlich hat sich Caspar Engerling als Creditor gemeldet. Am selben Tag wie Sie. Wussten Sie das nicht?« Dr. Rose reißt sich zusammen und schnappt nach Luft. Er bemüht sich, so sachlich wie möglich zu bleiben, doch es gelingt ihm kaum. »Und weil Sie nicht gekommen sind, hat er das Land für nur 25 ½ Reichstaler 97 bekommen. Jetzt denken Sie mal nicht an sich, sondern an den Herrn Overkamp! Da ersteigert der Schuster Engerling von unserem Ratsherrn Overkamp das Land und bezahlt – wenn Sie so wollen – mit Overkamps eigenem Geld, welches dieser beim Glücksspiel an Engerling verloren hat. Wie mag es dem Overkamp nur zumute sein? Er tut mir richtig leid. Was ist da nur geschehen?«, überlegt Dr. Rose und findet seine Haltung wieder. Das Schicksal Overkamps ist zu furchtbar, um auch nur ein leises Lächeln zu dulden. Ein menschliches Unglück sondergleichen. Wenn man doch nur helfen könnte, wünscht sich Dr. Rose.
97 Die Summe orientiert sich an: St.R. B 1618. Verkauf von Buddeus’schen Ländereien zur Tilgung der Schatzungsrückstände sowie Pfändung von Hausrat. 1780.
30. August 2010
Heute Morgen ist die Gründungsveranstaltung der neuen Städtischen Gesamtschule Lippstadt. Die Turnhalle ist gefüllt mit Eltern und ihren Kindern, die als erster Jahrgang eingeschult werden. Oliver steht am Rand der Halle, macht Fotos für die LTZ und hört die freundlichen und lobenden Worte von offizieller Seite ebenso wie die der Elternsprecherin, die in ihrer Rede die Schule mit einem
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