Der Kaufmann von Lippstadt
geschleudert. 93 Dr. Rose ergänzt: » Um nun fernern Unglücksfällen dieser Art vorzubeugen, […] werde der hiesige Magistrat dem englischen Commissair das noch übrige Magazin gefüllter Granaden ab ‹ 94 kaufen […] und die 8000 Stück wolle man in einen nahen Wassergraben werfen, der gleich darauf bei der Demolition der Festung völlig mit Erde aufgefüllet […] 95 werde.«
Caspar Engerling reißt die Tür des Kontors auf und schreit Ferdinand Overkamp ohne Umschweife an, das könne ihm, Overkamp, so passen, dass er, Engerling, bei der Explosion des Turmes draufgehe. Doch so leicht gehe er nicht von der Welt. Ob Overkamp denn glaube, so seiner Schwierigkeiten ledig zu werden. Aber Overkamp sei ein solch schlechter Verbrecher, dass die ganze Stadt nur lachen werde. Das täten sie ohnehin schon. Ob Overkamp denn nicht bemerke, dass ihn alle schnitten?
»Die guten Verbrecher werden nicht erwischt«, zwinkert Engerling Ferdinand Overkamp zu.
»Werden wir ja sehen«, sagt Overkamp tonlos und ärgert sich, dass er so erbärmlich und hilflos klingt. Er ist sich nicht mehr sicher, ob er gegen jemanden wie Engerling ankommen kann. Früher wäre es ein leichtes gewesen. Ja, früher ist wirklich alles besser gewesen.
»Wie hast du das gemacht? Wie hast du den Turm in die Luft gehen lassen?«, fragt Engerling aufgebracht, denn er kann sich nicht erklären, auf welchem Wege der Overkamp die Funken hat sprühen lassen, wo doch schon geraume Zeit vergangen war zwischen Overkamps Erscheinen und der erneuten Explosion. »Die Lippstädter werden mir noch dankbar sein, dass ich deinen Angriff überlebt habe!«, brüllt Engerling weiter. Overkamp lacht kurz auf ob dieser bodenlosen Übertreibung. Eine Frechheit. Eine Unverschämtheit.
»Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen«, antwortet Overkamp ohne viel Regung. Es ist ohnehin alles zu spät. Ob jetzt der Engerling auch noch glaubt, er, Overkamp, habe etwas mit der Explosion zu tun oder nicht, ist ihm gänzlich einerlei. Doch allein der Gedanke, dass Engerling ihm ein solches Vorgehen noch zutraut, tröstet Overkamp für einen kleinen Augenblick, in dem er wünscht, dass er es tatsächlich wäre, der die Explosion ausgelöst hätte. Doch wenn er es gewesen wäre, hätte er sein Ziel – Engerling töten – verfehlt. Engerling ringt um Fassung; die Explosion hat ihm wohl einen gehörigen Schrecken eingejagt. Er hat um sein Leben gefürchtet und nur Overkamp allein weiß, wie gut Engerling daran tut. Das alles geschieht ihm ganz recht, denkt Overkamp. Ja, er schöpft sogar für einen Augenblick Mut, dass es doch auf irgendeinem Wege möglich sei, den Engerling zu hängen. Allein dass der Engerling noch lebt, zeigt nur, wie gottverlassen er, Overkamp, ist. Engerling hätte in den Baumgarten geschleudert und dort von den Ästen einer Baumkrone durchbohrt werden sollen, doch an seiner statt haben drei unbescholtene Bürger nun ihr Leben verloren.
Engerling schlägt mit der Hand auf den Schreibtisch. ›Köpner schlägt auf die Granatenkiste auf‹, erinnert sich Overkamp und zuckt zusammen.
»Schlechtes Gewissen?«, spottet Engerling. »Kann es sein, dass der Herr Köpner gesehen hat, wie Sie, mein lieber Herr Overkamp, dafür gesorgt haben, dass das Pulvermagazin nahe Bastion III in die Luft fliegt? Ja, da liegt es doch auf der Hand, dass Sie letztendlich auch den Pulverturm auf dem Gewissen haben. Soll ich nun Dr. Rose davon in Kenntnis setzen, oder wollen Sie sich als großzügig erweisen und mir einen Griff in Ihre Kasse gestatten?«, erkundigt sich Engerling vermeintlich formvollendet.
Mit einer müden Geste weist Overkamp auf seine Kasse. Engerling öffnet sie und weicht erschrocken zurück. »Leer!«, stellt er entrüstet fest. »Sie müssen mehr arbeiten. Machen Sie Geschäfte! Kümmern Sie sich!«, befiehlt er und fügt mit einem Grinsen hinzu: »Oder ist es schon so weit, dass ich hier alles übernehmen kann?« Ohne eine Antwort abzuwarten, verlässt Engerling das Kontor, von dem er hofft, dass es in Kürze seines werden wird. Allein die prächtige Ausstattung des Raumes selbst wird übrig sein, denn alles andere wird Overkamp verloren haben, wenn Engerling das Kontor sein Eigen nennen wird. Zuweilen malt sich Engerling aus, wie er sein Kontor einrichten wird. Noch geschmackvoller als zu Overkamps glanzvollsten Zeiten wird es werden, da ist er sich sicher.
91 Vgl.: Möller: Alte Nachrichten von Lippstadt . 1788. [1973]. S. 261.
92 Möller: Alte Nachrichten
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