Der Kaufmann von Lippstadt
er gelacht und gerufen, aus dem Buddeus würde … Es rumpelt. ›Köpner schlägt auf die Granaten-Kiste auf.‹
»Was war das?«, fragt Johanna Overkamp, die aus dem Schlaf aufgeschreckt ist. Sie hört ihren Sohn weinen und husten. »Das Kind ist aus dem Bette gefallen. Ferdinand, tun Sie etwas!«
Der Blick vom Grubenrand auf den leblosen Köpner lähmt Overkamp. Er kann sich nicht aus dem Bett bewegen. Schweiß bricht ihm aus. Herr Christ, erbarme dich meiner!, denkt Ferdinand Overkamp. Er blickt auf seine Hände. Sie fühlen sich feucht an. Hat er noch Köpners Blut an den Händen? Nein, das kann nicht sein, versucht er sich selbst zu beruhigen. Im Dunkel der Schlafstube kann er es nicht erkennen.
Mit einer schwungvollen Bewegung schlägt Johanna Overkamp ihre Bettdecke zur Seite und springt aus dem Bett. In ihrem Schwung sieht Overkamp sich selbst den Spaten auf Köpners Kehle schwingen. Sie läuft aus der Stube zu ihrem Sohn. »Ferdinand, kommen Sie schnell. Bringen Sie die Kerze mit!«, ruft sie.
Als Overkamp die Schlafstube seines Sohnes betritt, sitzt Johanna mit dem 13-jährigen Caspar auf dem Boden und wiegt ihn hin und her. »Er glüht. Wir müssen Wadenwickel machen. Wecken Sie Berta!«, ruft sie aufgeregt. »Und machen Sie die Fenster auf. Wir müssen ihn kühlen.«
Als Ferdinand Overkamp das Geforderte erledigt hat, läuft er höchst selbst zur Soeststraße, um Dr. Buddeus zu holen. Er rennt, als sei der Teufel hinter ihm her. Einmal stolpert er über ein Schlagloch, stürzt beinahe und rennt weiter. Tränen laufen ihm über sein Gesicht, doch das stört ihn nicht. Sein Ansehen ist ohnehin ruiniert.
Keine zehn Minuten später erreichen Overkamp und Dr. Buddeus die Kirchgasse und hören Johanna im Obergeschoss laut klagen. Der Tod haftet an mir und meiner Familie, denkt Overkamp. Ich reiße alle meine Lieben ins Verderben. Auch Dr. Buddeus kann nur noch den Tod des Kindes feststellen. 13 Jahre ist der Junge alt geworden. Am großen Fieber ist er gestorben. Einen Augenblick verweilt Dr. Buddeus noch bei Johanna und ihrem Kind, dann geht er zu Overkamp, der sich in sein Kontor zurückgezogen hat. »Mein Beileid, Herr Overkamp. Leider bin ich zu spät gekommen«, beginnt Dr. Buddeus. »Es ist eine schwere Stunde für Sie und Ihre Gemahlin. Wenn ich Ihnen behilflich sein kann, bitte sagen Sie es mir.«
»Danke. Mir und meiner Familie kann man nicht helfen. Nicht einmal Gott hilft uns«, antwortet Overkamp.
Auf dem Nachhauseweg erinnert sich Dr. Buddeus, dass Overkamps erstgeborener Sohn, der kleine Ferdi, nur wenige Tage alt geworden ist. Wann mag das gewesen sein? 1750? Und dann zwei oder drei Jahre später starb auch der kleine Theodor im Alter von vielleicht vier Monaten. Oder war er doch ein halbes Jahr geworden? So genau weiß Dr. Buddeus es nicht mehr. Und jetzt ist wieder ein Sohn verstorben. Der dritte. Im Hause Overkamp leben jetzt nur noch der kleine Friedrich und die kleine Theresia. Wie alt mögen die beiden sein? Der Junge geht zur Elementarschule, und das Mädchen ist um die drei Jahre alt. Dr. Buddeus schüttelt den Kopf. Wie kann eine Familie allein so viel durchmachen müssen? Die Elisabeth ist ja auch Hals über Kopf nach Lübeck abgereist, das lässt nur einen Schluss zu. »Diese jungen Mädchen haben keinen Anstand mehr!«, schimpft Dr. Buddeus vor sich hin.
21ter December 1764
Der Magistrat im Rathaus überlegt an diesem Morgen aus gegebenem Anlass, ob der Termin der Versteigerung von Overkamps Land nun wegen des verstorbenen Sohnes verschoben werden sollte. Doch Stadt-Syndicus Clüsener besteht darauf, am Termin festzuhalten, angeblich, um nicht wieder die Versteigerung drei Mal in der Stadt bekanntgeben zu müssen.
»Heute Mittag, wenn die Stadtuhr 12 Uhr anzeigt, beginnen wir die Versteigerung«, wiederholt Amtmann Johann Anton Arnold Möller, ohne von der Richtigkeit seiner Entscheidung überzeugt zu sein. Aber in ganz Lippstadt ist der Termin nebst Uhrzeit bekannt.
»Ich werde pünktlich sein«, sagt Stadt-Syndicus Clüsener und geht heim. Bereits im Morgengrauen ist sein Stiefbruder Dr. Buddeus zu ihm in die Marktstraße gekommen und hat berichtet, dass Overkamps Sohn am großen Fieber gestorben sei und er, Buddeus, hoffe, dass die Versteigerung verschoben werde. Aus Gründen der Menschlichkeit. Mit einem überheblichen Lächeln hatte Clüsener seinem Stiefbruder die Tür vor der Nase zugeschlagen und sich gefragt, mit welchem Recht sich Buddeus in anderer Leute
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