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Der Kaufmann von Lippstadt

Der Kaufmann von Lippstadt

Titel: Der Kaufmann von Lippstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rita Maria Fust
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müssen.
    Vor dem Behandlungszimmer des Dr. Buddeus in der Soeststraße wird Engerling gestoppt.
    »Sie dürfen hier nicht hinein. Nicht jetzt. Nur der Magistrat darf eintreten: Amtmann Claudius und Amtmann Sinnemann, Bürgermeister Kellerhaus, Bürgermeister Arnold Curtius, ausnahmsweise auch Dr. Rose und mein Stiefbruder Stadt-Syndicus Clüsener. Schlimm genug, dass ich diesen Ausbund an … – ach, ich weiß auch nicht – reinlassen muss«, sagt Dr. Buddeus.
    Engerling lauscht an der Tür des Behandlungszimmers, doch die Bauarbeiten an Justizrat Roses Soest-Tor-Gebäude machen so viel Lärm – ausgerechnet jetzt! –, dass er kein Wort verstehen kann. Ob sie beraten, wie sie ihn, Engerling, überführen können? Welche Strafe steht auf Mord? Der Tod! Dann habe ich mein Leben verwirkt und der Scharfrichter kommt und köpft mich. Am besten gehe ich nach Hause, beschließt Engerling. Die Arbeit macht sich auch nicht von alleine. Wenn ich erst mal meine Geschäfte vom Overkamp’schen Kontor aus erledige, dann … Ach, was sage ich? Das Engerling’sche Kontor werde ich es selbstredend nennen. Dann werde ich endlich den Erfolg verbuchen können, der mir ohnehin zusteht. Ich werde keine braunverfärbten Hände mehr vom Walken des Leders haben, sondern gepflegte Hände, die nur noch schreiben … Und meine Frau wird sich den ganzen lieben langen Tag putzen, das wird ihr Herz erfreuen. Meine Tochter werde ich gut verheiraten, eine Aussteuer wird sie erhalten, edel, stilvoll und teuer …
    »Was stehen Sie hier herum?«, fragt Clüsener, der das Behandlungszimmer als Erster wieder verlässt.
    »Ich? Ja, also … ja. Geschäfte. Ich mache Geschäfte«, stammelt Engerling.
    »So? Wenn Sie glauben, dass Sie es durch Im-Wege-Stehen zu etwas bringen. Gehen Sie nach Hause und tun Sie, was Sie können. Flicken Sie Schuhe. Zu mehr reicht es ohnehin nicht.«
    Engerling schluckt sofort seinen aufsteigenden Zorn auf Clüsener hinunter. So kurz vor dem Ziel angelangt, muss er sich beherrschen. Schnellen Schrittes geht er zur Cappelstraße und verharrt eine Weile von innen hinter der Eingangstür seines Hauses. Aber es geschieht nichts weiter. Sie kommen nicht, um ihn zu befragen oder gar abzuholen. Sie scheinen allesamt nichts zu wissen. Nein, sie ahnen nicht einmal, dass er Bernhard Buersmeyer die Zunge abgeschnitten hat. Und dass sie wirklich dessen Leiche gefunden haben, glaubt Engerling auch nicht. Zu gut hat er den Buersmeyer verscharrt und als Zeichen seines Triumpfes – Übermut könnte man es auch nennen – einen kleinen abgebrochenen Ast einer Weide in den sandigen Boden gerammt, der dort zufällig lag. Für einen kleinen Augenblick hat er, Engerling, innegehalten und überlegt, ob er nicht kurzerhand ein Kreuz für Buersmeyer binden sollte, wo er nun schon in nicht geweihter Erde liegt. Dann hat er schnell von dem Gedanken abgelassen, Buersmeyer war schließlich ein Rufmörder. …Wäre geworden, um genau zu sein. Und der Jahrmarkt wartete! Er wollte es sich doch richtig gut gehen lassen. Da störten solcherlei Gedanken nur. Auf dem Weg zurück in die Stadt sah er im Licht des Mondes den Turm der Großen Marienkirche.

20ter September 1765
    Auch in der Nacht ist es ruhig geblieben im Hause Engerling. Über Umwege geht Caspar Engerling im Verlauf des Vormittags zu Overkamp. Niemand in der Stadt verhält sich auffällig, niemand sieht ihn misstrauisch an. Und doch fühlt er sich äußerst unwohl in seiner Haut. Er ist ein Mörder, das macht ihm durchaus zu schaffen. Ohne anzuklopfen, betritt er das Kontor in der Kirchgasse.
    »Guten Morgen, Overkamp. Wie ich hörte, möchten Sie mir Ihr Haus verkaufen. Das ist eine weise Entscheidung. Es erspart Ihnen weitere Schande in der Stadt. Erinnern Sie sich nur an die schrecklichen Stunden, als Pedell Strenger durch Lippstadt lief und die Versteigerung Ihrer Mobilien verkündete. Wenn Ihr Haus versteigert würde, ginge das ganze Procedere von vorne los. Das wissen Sie! Also verkaufen Sie an mich!«, fordert Engerling entschieden. »Ach, was sage ich, verkaufen, nein, überschreiben Sie es mir!«
    »Überschreiben? An Sie?« Für einen Augenblick klingt es, als bäume sich in Overkamp noch einmal etwas auf. Der letzte Funke eines Überlebenswillens.
    »Selbstverständlich! Sie erinnern sich bestimmt an unser Zusammentreffen nahe des Soest Tores. Sie können nicht einmal einen wehr- und bewusstlosen Mann töten. Sie können es einfach nicht. Sie sind zu nichts zu

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