Der Kaufmann von Lippstadt
gebrauchen. Sie sind ein Taugenichts! Ein Verlierer. Und mal ehrlich, mein lieber Herr Overkamp, wer sollte schon Ihr Haus haben wollen, wenn nicht ich?«, fragt Engerling, ohne eine wirkliche Antwort zu erwarten. »Herr Clüsener hat kein Geld mehr. Es gibt niemanden, der Ihr Haus kaufen möchte.«
»Rose«, sagt Overkamp tonlos.
»Justizrat Rose?«, wiederholt Engerling abfällig. »Als ob der werte Herr Rose ein Haus wie dieses besitzen wollte! Der kauft so etwas nicht. Herr Rose baut ein höchst repräsentables und imposantes Gebäude am Soest Tor. So etwas hat die Welt noch nicht gesehen. Mit Poterne! Der Herr Rose hat wahrlich Stil.«
»Ich auch. Aber Sie haben keinen Stil!«, versucht Overkamp, sich und sein Haus zu verteidigen.
» Sie haben Stil? Helfen Sie mir! Wie nennt man es? Stilvoll getötet? Stilvoll verscharrt? Ein stilvoller Henkersknoten? Dass ich nicht lache. Zugegeben: Sie hatten mal Stil. Doch der ist Ihnen abhandengekommen. Ihr Fräulein Tochter war sich ja auch nicht zu schade, die Beine brei…«
Overkamp springt so schnell auf, dass Engerling nicht mehr ausweichen kann. Overkamps Faust trifft ihn mit voller Wucht am Kiefer. Ein lautes Krachen verrät, dass der Knochen gebrochen ist. Mit schmerzverzerrtem Gesicht nuschelt Engerling etwas und taumelt aus der Tür in die Kirchgasse. Overkamp bleibt allein in seinem Kontor zurück. »Herr Christ, erbarme dich meiner. Herr Christ, erbarme dich meiner«, betet Ferdinand Overkamp, in sich zusammengesunken. »Gott, du hast mich verlassen, so muss ich nun ohne deinen Beistand handeln!«, endet Overkamp, steht auf und verlässt sein Kontor.
»Dr. Rose«, beginnt Overkamp, der all seinen Mut zusammennimmt, als er im Behandlungszimmer des Mediziners ankommt. 120 »Sie haben Einfluss in der Stadt, sie waren mehrmals Bürgermeister und wollen es wieder werden, wie Sie mir vor nicht allzu langer Zeit sagten.«
»Wenn es nach mir geht, werde ich Jahrzehnte lang jedes zweite Jahr Bürgermeister«, stellt Dr. Rose seinen Plan vor. »Ich bin froh, dass Sie gekommen sind, Herr Overkamp. Was kann ich für Sie tun?«
»Dr. Rose, Sie haben mir einst Ihre Hilfe angeboten. Bitte legen Sie ein gutes Wort für mich bei Bürgermeister Kellerhaus ein und sorgen so dafür, dass mein Haus versteigert wird. Und wenn ich frei sprechen darf?« Er schaut Dr. Rose an. Dieser nickt. »Ich wüsste es zu schätzen, wenn nicht Caspar Engerling den Zuschlag für mein Haus erhielte. Jeder andere, aber nicht er. Vielleicht können Sie mit Ihrem Cousin sprechen? Justizrat Rose ist ein kluger Mann, er wird den Wert meines Hauses erkennen und zahlen können. Ich möchte mich nicht bereichern, Sie wissen von meinen Gläubigern und deren Forderungen. Leider zu Recht. Wenn das Haus nicht mehr das Meinige ist, habe ich nichts mehr. Dann werde ich Lippstadt für immer verlassen. Ich habe Sie nie um etwas gebeten, werter Herr Dr. Rose, und werde es nie wieder tun müssen.«
Dr. Rose nickt.
»Ich werde mein Möglichstes tun«, verspricht er, »und werde mit den Bürgermeistern und Amtmännern darüber sprechen. Ich gehe davon aus, dass sie Ihnen wohlgesonnen sein werden.«
120 Im Bürgerbuch der Stadt Lippe/Lippstadt von 1576 bis 1810 wird ein Dr. Johann Conrad Rose als Mediziner ausgewiesen, (vgl. S. 118, Nr. 2877). Im Stadtarchiv Lippstadt waren bislang keine Archivalien (z. B. Rechnungen) zu ermitteln, die bestätigen, dass Dr. Rose tatsächlich als Arzt in Lippstadt tätig war. Dieses könne ein Überlieferungszufall sein, sagt Frau Dr. Becker, Leiterin des Stadtarchivs.
14ter Oktober 1765
Dr. Rose hat Wort gehalten. Wie genau er das geschafft hat, bleibt sein Geheimnis. Der Verkauf des Hauses hat drei Mal in der Lippstädtischen Zeitung gestanden und ist drei Mal von Pedell Strenger in der Stadt verkündet worden. Morgen, am 15ten Oktober, wird Amtmann Johann Christian Claudius um 12 Uhr Mittag die Versteigerung des Overkamp’schen Hauses vollziehen.
Ferdinand Overkamp hat vor längerer Zeit die Burschen und Mägde aus seinem Dienst entlassen. Nicht nur, weil er sie nicht mehr hat bezahlen können, nein, schlimmer. Er hat deren mitleidige Blicke nicht mehr auf sich spüren wollen. Seine Gemahlin weint nur noch, seit Wochen, so scheint es ihm, doch nun hat er sie angewiesen, zwei Truhen zu packen. »Und nicht mehr!«, hat er barsch gesagt.
»Mehr besitzen wir ohnehin nicht mehr«, hat sie geschluchzt.
Wortlos ist er ins Kontor gegangen, hat den letzten Stapel seiner
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