Der Kaufmann von Lippstadt
wohl Elisabeth und dem kleinen Ferdi gehen? Nein, an Elisabeth darf er keinen Gedanken verschwenden. Das ist sie nicht wert. Nach all dem … Vielleicht wäre es doch besser gewesen, wenn er Elisabeth mit Kerkmanns Stephan verheiratet hätte. Dann hätten nicht so viele Menschen ihr Leben lassen müssen und er, Overkamp, wäre noch ein Mann von Format. Sein Ansehen und sein Ruf in Lippstadt wären tadellos, wie eh und je. Er würde große Geschäfte machen, und es hätte nicht mehr allzu lange gedauert, bis er sich ein Haus aus Stein hätte leisten können. Ja, das wäre nach seinem Geschmack gewesen, wenn alle Lippstädter – vor allem die Familien Rose und Zurhelle – voller Anerkennung und auch Neid auf ihn und sein Haus geblickt hätten. Aber heute? Erst am Vormittag, als Overkamp mit der Alt-Weiber-Sonne die innere Kälte zu vertreiben versuchte, hat ihn sein Nachbar, der alte Kerkmann verspottet. Er sei so froh, seinem Sohn verboten zu haben, um die Hand Elisabeths anzuhalten. »Ich habe zu Stephan gesagt, wenn du zu diesem überheblichen Overkamp gehst und um die Hand Elisabeths anhältst, dann schlage ich dich tot«, hat Kerkmann lauthals lachend erzählt. »Und zu der Zeit war ihr Fräulein Tochter noch eine gute Partie. Jetzt werden Sie sie nicht mehr unter die Haube bringen können: völlig verarmt mit einem unehelichen Kind.«
»Ihr Stephan ist doch an allem Schuld«, weiß Overkamp nun endlich mit Gewissheit.
»Und wenn schon. Es war schließlich Ihr Fräulein Tochter, die sich unschicklich verhalten hat. Burschen wie meinem Stephan kann man keinen Vorwurf machen. Sie sind jung und wild; sie wollen sich ihre Hörner abstoßen, und wenn ein williges Mädchen des Weges kommt, dann …«
»Halten Sie den Mund«, hat Overkamp gefordert und ist in sein Kontor gegangen.
Stephan Kerkmann ist der Vater des kleinen Ferdi. Ausgerechnet dieser Bursche, der von seinem gewalttätigen Vater zu viel geerbt zu haben scheint. Da die Kerkmanns die vielen Schicksalschläge und den schleichenden Ruin des Overkamps Tür an Tür mitbekommen haben, werden sie schon von sich aus dafür sorgen, dass niemand in Lippstadt erfährt, dass Kerkmanns Stephan ein Kind mit Elisabeth hat. Es wäre ihnen höchst unangenehm und die Verbindung zu mir würde ihrem Ansehen schaden, denkt Overkamp bitter. Ja, er muss sich sogar eingestehen, dass Kerkmann gut daran tun, ihn und seine Familie zu meiden, denn das Unglück scheint auf andere übergreifen zu können, wenn er nur an das Schicksal des Johann, Agnes Bruder, und deren Mutter denkt. Und Buersmeyer. Wo der abgeblieben ist, ist nach wie vor unklar.
In den späten Nachmittagsstunden kommt Dr. Rose und scheint einen Augenblick beim Gespräch verweilen zu wollen.
»Wenn Sie möchten, nehmen Sie doch Platz«, bietet ihm Overkamp einen Stuhl an, ohne es wirklich zu wünschen.
»Danke, gerne. Mein lieber Herr Overkamp, Sie erinnern sich bestimmt. Ich war schon einmal hier und habe mich nach Ihrem Befinden erkundigt. Ich …«
»Danke, danke. Die Augenbraue wird verheilen. Sie schmerzt mich nicht«, fällt Overkamp ihm ins Wort und versteht Dr. Rose bewusst falsch.
»Das freut mich, aber es ist nicht das, was ich meine – und Sie wissen das. Overkamp, was ist los mit Ihnen?«
»Ich bin gestürzt, das habe ich Ihnen doch berichtet«, windet sich Overkamp.
»Verkaufen Sie mich nicht für dumm! Was ist passiert, dass Sie alles verlieren? Man hört nur noch von Gläubigern, deren Forderungen Sie nicht erfüllen.«
»Das stimmt. Ich werde mein Haus verkaufen und zu meinen Verwandten nach Lübeck ziehen«, sagt Overkamp und erschrickt über seine eigenen Worte. Das hat er so nicht geplant. Nein, der Gedanke war ihm nicht einmal gekommen, denn er hatte sich stets verboten, sich auszumalen, wie es weiter gehen sollte, wenn er das Haus verlöre. Auf Johanna würde er keine Rücksicht nehmen können. Sie war ohnehin mehr tot als lebendig. Bei diesem Gedanken wird Overkamp ganz bleich. Hat er auch seine Frau auf dem Gewissen? Wenn er ehrlich zu sich selbst ist, muss er gestehen: ja. Er hat das Leben seiner geliebten Johanna auf dem Gewissen. Noch schlägt ihr Herz, aber … aber nicht mehr für mich und die Familie, denkt Overkamp. Es schlägt nur noch, weil es immer geschlagen hat. Aber wie lange noch?
»Overkamp! Wo sind Sie mit Ihren Gedanken?«, holt ihn Dr. Rose zurück. »Sie können doch nicht einfach verkaufen! An wen denn?«
»An Sie? Möchten Sie es haben?«, bietet
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