Der Keil des Himmels
Gänge und Treppenschächte zu Fuß genommen hatten – kalt, karg und lieblos, wie mit dem Messer geschnitten gerade, als hätte man Scharten durch die steinerne Substanz den miteinander verzahnten, verwinkelten Bauwerkskörper der Altstadt gekerbt –, hatte er den Eindruck, sie seien weitab von ihrem Ausgangspunkt, in einem vollkommen anderen Komplex von Gebäuden, in Bauten mit vollkommen anderem Gepräge herausgekommen, in etwas, was von außen mit der Fassade des kleinen Stadtpalastes einer Aristokratenfamilie auf die Welt schaute, ringsum von ähnlichen Bauten eingefasst, das aber in seinem Inneren bis aufs Nüchternste ausgeweidet worden und nun mit einer ganz anderen Art von Getriebe erfüllt war, bevölkert von emsigen, schweigenden Gestalten in grauen Kutten, die in geheimnisvollen Geschäften durch kahle, hallende Gänge eilten.
„Haben Sie vielleicht von ihren Angreifern jemanden erkannt?“, fragte ihn die vermummte Gestalt, die ihm am Tisch gegenüber saß, und riss ihn damit aus den Überlegungen, in die er für einen Moment versunken war.
Nein, erklärte er ihm, erkannt hatte er niemanden. All seine Beobachtungen während des Kampfes hatte die Kutte anhand der Toten bereits nachvollzogen und längst ihre Schlüsse gezogen. Ein Haufen heruntergekommener Söldner aus dem Südosten, wusste die Kutte zu berichten, die schon zu lange ohne einträglichen Kontrakt gewesen waren.
„Außerdem konnten wir unter den Toten jemanden identifizieren, der uns einen Hinweis auf Hintermänner und Motiv liefern könnte.“ Auric merkte bei diesen Worten der Kutte auf, wollte sich in seinem Lehnstuhl aufrichten, zuckte jedoch ächzend zusammen, als sich dabei seine frisch verbundenen Wunden schmerzhaft bemerkbar machten. Jetzt wo die Gefahr vorbei war und der Rausch der Erregung wich, spürte er erst richtig die Schwere und Auswirkungen seiner Verletzungen. Er hatte großes Glück gehabt, dass er hier jetzt lebend saß. Wieder einmal.
„Einer der Toten hatte Verbindungen zu Vikar Genarion“, fuhr die Kutte fort. „Er hat in der Vergangenheit in einem Anstellungsverhältnis mit Genarion gestanden, und es scheint als hätte er auch danach noch immer im Kontakt zu dem Vikar gestanden. Es ist sogar wahrscheinlich, dass er sich noch kurz vor dem Attentat mit ihm getroffen hat. Wir haben jedenfalls bei ihm eine von Genarion unterzeichnete Notiz gefunden, die genau darauf hindeutet.“
Auric stutzte erneut, beging diesmal aber, mit Rücksicht auf seine Wunden, nicht den Fehler einer unwillkürlichen heftigen Bewegung. „Genarion? Vikar Genarion? Der als der Nachfolger von General Naboran gehandelt wurde.“ Das wäre allerdings eine sehr direkte Auswirkung seiner Beförderung. „Der aussichtsreichste Kandidat auf den Generalsposten, hätte man nicht mich ins Spiel gebracht.“
„Interessant, nicht wahr? Aber die Verbindungen sind noch vielfältiger.“
Die Kutte kam in ihrem Lehnstuhl nach vorne, stützte ihre Arme auf die Tischplatte, und die Kapuze neigte sich Auric entgegen. Er konnte sich vorstellen, wie die Augen hinter der Maske ihn aufmerksam fixierten. „Dem gleichen Toten sind ebenfalls Kontakte zu dem Mann nachzuweisen, der Oberst Kudai den Hinweis gegeben hat, mit dem Sie überhaupt in diese Diaphanum-Manufaktur gelockt wurden. Um was sollte es eigentlich bei der ganzen Sache gehen?“
Auric zuckte so beiläufig er konnte mit der Schulter. „Ein Treffen wegen militärischer Geheimnisse. Informationen, von denen Erfolg oder Misserfolg des Norgond-Feldzugs abhängen könnte.“
„Misserfolg? Des Norgond-Feldzuges? Ach was.“ Das trockene Lachen, das aus dem Schatten der grauen Kapuze kam, war kalt, ohne eine Spur von Humor. „Militärische Geheimnisse. Das steht so auch im Protokoll ihrer ersten Aussage.“ Er bewegte sich in seinem Lehnstuhl in eine andere Position. „Darüber werden wir noch zu sprechen haben. Jedenfalls können Sie von Glück reden, dass Oberst Kudai so früh den Mord an diesem Informanten entdeckte.“
Da hatte die Kutte wohl Recht, dachte er. Er verdankte dem kleinen Mistkerl sein Leben. Die Besprechung zur Umstrukturierung der Föderierten-Brigade, zu der Kudai an diesem Abend so dringend musste, war schon vorzeitig zum Ende gekommen. Aus einem seltsamen Gefühl heraus – so erzählte Kudai Auric noch am Ort des Kampfes, kurz nachdem sie die Verfolgung der überlebenden Attentäter als sinnlos aufgegeben hatten – hatte er noch einmal seinen Informanten
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