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Der Keil des Himmels

Der Keil des Himmels

Titel: Der Keil des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horus W. Odenthal
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den Raum kleiner und gedrängter wirken als er eigentlich war, nicht wie ein offizielles Empfangszimmer sondern eher wie eine Bibliothek oder ein Studierzimmer. Ein erster, flüchtiger Blick zeigte ihm Prachtbände und Reihen gleichförmig dunkel eingebundener Rücken, die an Gesamtausgaben wissenschaftlicher Werke denken ließen. Der Rest des Raumes war angefüllt mit geschmackvoll luxuriösem Mobiliar und Kunstobjekten, vieles davon von der fremdartigen, eigentümlichen Kombination von Eleganz und verdichteter Kompaktheit der Kinphauren-Provinz.
    „Präfekt d‘Vhaun“, machte er sich bemerkbar, als der Kvay-Naun weiterhin keine Anstalten machte, sich zu ihm umzudrehen.
    Die Gestalt am Fenster wandte sich zu ihm hin und trat zwei Schritte auf ihn zu.
    „Ich grüße Sie. General Auric. Schön, Sie unter diesen Umständen wiederzusehen.“
    Der Kinphaure erschien keinen Tag älter, als zu dem Zeitpunkt, an dem er ihn zum letzten Mal gesehen hatte. Zwar zeigten sich in seinem Gesicht die Spuren von Reife und Erfahrung in Form von Falten, die so wenig zu dem knochenbleichen Hautton passen wollten, doch schienen sie heute eher flüchtiger, weniger tief eingegraben als damals. Vielleicht hatten sie während jener Zeit ja tatsächlich durch Dreck, Schweiß und Blut nur noch deutlicher herausgearbeitet gewirkt.
    „Ikun“, sagte Auric, und noch einmal: „Ikun.“
    „Sie haben mich also tatsächlich nicht schon vorher am Namen erkannt, Auric Morante, genau wie ich gehofft hatte.“
    „Sie haben uns damals im Tal von Jhipan-Naraúk nur eine verkürzte und vereinfachte Version ihres Namens genannt. Ich habe ihren wahren Namen danach nie erfahren. Oder, dass sie der berühmte Schriftsteller und Intellektuelle Vhay-Mhrivarn d‘Vhaun Ikhun'rá sind.“
    „Berühmt? Jetzt übertreiben Sie aber. Vielleicht kennt man mich als Theoretiker in bestimmten Fachkreisen, aber meine Schriften sind bei weitem zu speziell, als dass sie jemals als populär angesehen werden könnten.“
    „Selbst wenn ich Ihre tatsächliche Identität gekannt hätte, dann hätte ich Sie bestimmt nicht in Idirium erwartet. Sie schienen ein so starker Vertreter der Kvay-Naun-Anliegen. So mit dem Charakters ihres Volkes befasst.“
    Damit hatten sich auch schon immer seine Schriften beschäftigt, so hatte ihm die Kutte „Anander“ erzählt. Das Wesen kvay-naunischen Kinphaurentums, die Identität eines Volkes, die aus dem Zusammentreffen zweier Einflüsse – der Rasse ihrer Abstammung und des Staates, dem sie als Provinz angehörten – gewonnen werden musste. All das, was Ikun während ihrer Gespräche im Urwald von Kvay-Nan nur kurz erwähnt hatte, so erkannte er jetzt, klang darin wieder.
    „Und ein Fürkämpfer der gestaltenden Prinzipien Idiriums, General Auric. Jedenfalls nachdem mir die Realität erst einmal die wahre Natur der Ideen des Blauen Kreises vor Augen geführt und mich zur Abkehr von meinen frühen Verirrungen getrieben hat. Meine Arbeiten, nachdem sich nach dem Bürgerkrieg unsere Wege trennten, haben sich mit der Analyse idirischer Staatstheorie beschäftigt. Dadurch ist die Aufmerksamkeit von Konsul Adverian auf mich gefallen, und nach vielen Gesprächen im Rahmen meines Amtes als delegierter Syndikus meiner Provinz, hat er mich zum Präfekten ernannt und als seinen Obersten Berater erwählt.“  
    Präfekt d‘Vhaun trat vor und blieb direkt ihm gegenüber stehen. „Aber bitte, Namen und Titel hin oder her: Ich würde es sehr mögen, wenn sie mich weiterhin Ikun nennen.“  
    D‘Vhaun musterte ihn mit einem Lächeln, das Auric jovial erschien, vielleicht ein wenig zu sehr.
    „Wer hätte damals gedacht, als wir im Dschungel vor Jhipan-Naraúk gemeinsam im Dreck lagen, dass wir uns einmal unter solchen Umständen wiedersehen würden. Sie als General und ich …“ Er ließ den Satz unbeendet in der Luft hängen.
    „Ich hätte damals nicht gedacht, dass ich überhaupt jemanden wiedersehen würde. Mit einem Armbrustpfeil im Hals.“
    „Und wieder trachtet man Ihnen nach dem Leben.“ D‘Vhaun – Ikun – wies auf den Verband an seinem Arm, das deutlichste nach außen sichtbare Zeugnis des Kampfes vor drei Tagen – abgesehen von seinen etwas steifen Bewegungen, die von den anderen von der Uniform verdeckten Verletzungen herrührten. „Und diesmal direkt in Idirium.“
    „Die Gründe ändern sich, wenn man in der Hierarchie aufsteigt“, meinte Auric trocken. „Als einfacher Soldat sind es sehr allgemeine Gründe, warum

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