Der Keil des Himmels
Denken Sie tatsächlich, eine Ost-Allianz würde lange Bestand haben? Sie waren einige Zeit im Osten, sie kennen die Gegebenheiten. Sie wissen, dass vorherige Versuche einen geeinten Widerstand zu organisieren immer wieder am Zwist der Parteien untereinander gescheitert sind. Und dass man Eisenkrone auch nur zähneknirschend als Galleonsfigur akzeptiert hat. Jede Interessengruppe hat eigene Pläne, jede kocht ihr eigenes Süppchen. Und Eisenkrone will keine Freiheit, sondern Macht. Sein Ziel ist Lygarnia; so viel ist schon durch seine Namenswahl offensichtlich. Sie werden sich an die Kehle gehen, sobald Idirium abgezogen ist. Und wissen Sie, wer dann lauernd an den Grenzen des Saikranon bereit steht?
Richtig.
Die Kinphauren bräuchten diesmal nicht einmal eine Allianz zu bilden. Ein geeintes Heer wäre nicht einmal notwendig. Ohne eine starke, durch die idirische Armee abgesicherte Grenze im Osten könnten die Armeen der einzelnen Häuser die Grenze des Saikranon überschreiten, in die zerstrittenen Länder dahinter einfallen und sie unter sich aufteilen.
Der gesamte Osten würde unter den Einfluss der Kinphauren fallen. Das ist es, wovor ich Angst habe.“
Auric sah Ikhun‘rá, den Präfekten d‘Vhaun und Obersten Berater des Konsuls an, wie er da in seinen schlichten aber teuren Gewändern vor ihm saß und in einer luxuriösen Umgebung lebhaft und klug argumentierte und verglich ihn innerlich mit dem Mann, dem er damals durch Zufall im Dschungel von Kvay-Nan das Leben gerettet hatte: die schwarze Rüstung verdreckt, sein Gesicht über und über mit Schmutz und Blut bedeckt, wodurch die wenigen unbesudelten Stellen von ihren Teint her nur umso bleicher wirkten. Es war eine interessante Wendung von dem Advokaten einer Rückkehr zu den alten Lebensweisen ihrer Brüder jenseits des Saikranon, einem Fürkämpfer des Ur-Kinphaurentums, der er einmal gewesen war, zum Entwerfen eines Schreckensszenarios, indem eben diese Kinphauren die ultimative Bedrohung für die gesamte zivilisierte Welt der niedernaugarischen Länder von der idirischen Kernprovinz bis in den hohen Norden, von Banossa nach Kvay-Nan, darstellten.
„Sie können sich also vorstellen“, fuhr Ikun mit einer erregten, wegwerfenden Handbewegung fort, „was ich von den Vorschlägen unserer Konservativen gehalten habe, einen Teil der Vierten aus dem Osten abzuziehen und ihn als stille Reserve für ihre Mittelnaugarien-Mission im Osten der Drachenrücken zu stationieren.“ Der Präfekt lehnte sich aufseufzend in seinem Sitz zurück und ließ seine Arme auf die Lehnen sinken.
Der Ikun, den er damals gekannt hatte, hatte eiserne Selbstbeherrschung besessen und hatte auch in heiklen Situationen eine ungerührte Fassade bewahrt. Sein Verhalten hier wirkte in diesem Licht aufgesetzt, wie Theater.
„Inaim sei Dank ist das ja jetzt vom Tisch.“
Die Lippen geschürzt lächelte er Auric von der Seite an. „Zumindest dies eine Gute hat der Anschlag auf Sie bewirkt. Auch wenn Sie dafür mit ihren Wunden bezahlen mussten.“
„Machen Sie sich keine Sorgen um mich, Ikun. So etwas bin ich gewohnt. Ich bin schließlich Soldat. Aber wie meinen Sie das?“
„Die Umstände des Attentats, der Verdacht gegen Genarion hat dafür gesorgt, ihren Feldzug endlich als die sichere Sache dastehen zu lassen, die er ist. – Das ist nicht despektierlich ihnen gegenüber gemeint, Auric, gewiss nicht. Es ist schließlich ihr Verdienst in der Sechzehnten eine so starke Waffe geschaffen zu haben, dass der Ausgang des Feldzugs als genau das, eine sichere Sache, erscheinen muss. – Eine so sichere Sache, dass die verschiedenen Seiten sich darum reißen, davon zu profitieren. So sehr, dass dabei scheinbar eine Seite sogar nicht vor einem Attentat, vor Mord zurückschreckt. Niemand denkt jetzt mehr daran, diese absurde Forderung einer stillen Reserve aufrecht zu erhalten.“
Auric war ehrlich überrascht. Die Vorgänge der letzten Tage hatten ihm wenig Zeit gelassen, die Vorgänge in den inneren Kreisen der Politik mitzuverfolgen. Aber er war, durch die Tatsache, wie schnell sich der Wind gedreht hatte, auch alarmiert. Und argwöhnisch.
„Haben Sie dafür gesorgt, dass der Verdacht gegen Vikar Genarion in die Öffentlichkeit durchsickerte?“, fragte er Ikun gedehnt. „Unter dem entsprechenden Tenor?“
Ikun zuckte mit keiner Wimper.
„Wo denken Sie hin, Auric? Mir kommt es so vor, als hätten Sie in der kurzen Zeit bereits einige Erfahrungen mit der hohen Politik
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