Der Keil des Himmels
es auch gesehen“, rief Kelam nach einer weiteren Sekunde, in der sich alle Blicke in die Tiefe bohrten.
Richtig; auch Auric bemerkte es. Die vorherigen Bewegung, welche die beiden anderen gesehen hatten, war ihm entgangen, doch glaubte er dort eine vage Helligkeit zu erkennen, die nicht von ihren Ölfackeln stammte.
Einen Augenblick später liefen sie alle in diese Richtung, durch Reihen kantig stämmiger, Pfeiler hindurch. Selbst in der durch ihr Laufen wild umhertanzenden Beleuchtung wurde immer deutlicher, dass sie sich einem hellen Schimmer näherten.
Der flache von Pfeilern getragene Raum musste eine enorme Ausdehnung haben, an der Zeit gemessen, die sie benötigten, ihn zu durchqueren. Dass sie diesen Bereich verließen, merkten sie, als die bisher niedrige Decke sich hob.
Hier herrschte eine spärliche Beleuchtung, die nicht von ihren Ölfackeln herrührte. Nicht weit von ihnen sah Auric eine Kugel an den Wänden, die bleiche Flammen in sich barg. In die Tiefe der Kammern hinein entdeckte er weitere davon, spärlich verteilt.
„Das muss ein häufig benutzter Bereich sein.“ Kelam stand da und drehte sich ihre Umgebung musternd ringsumher. Keine Regung zeigte sich auf seinem abgeklärten Veteranengesicht, doch wollte sein Kopf nicht aufhören, sich in alle möglichen Richtungen zu wenden.
„Ein noch vor kurzem benutzter Bereich“, gab die Kutte zurück.
„Denkst du, wir sind in den Katakomben?“
„Mit Sicherheit. Keine Krypta liegt so tief. Oder hat solche Ausmaße. Und so dicht am Siegel …“
Auric hörte dem knappen Austausch der Kutte und General Kelams zu, und bemerkte interessiert die Aura der Vertrautheit, die zwischen den beiden bestand.
Kelam löste sich aus der Betrachtung der Umgebung und warf der Kutte einen Seitenblick zu. „Glaubst du etwa die Legenden?“
„Legenden sind mir egal. Es ist bekannt, dass Katakomben existieren, zu denen es Zugänge in der Nähe des Siegels gibt.“
„Wohin also?“
Statt einer Antwort senkte die Kutte ihre Ölfackel und beschrieb mit ihr einen Halbkreis über den Boden. Die Steinplatten waren mit einem pulvrigen, körnigen Staub überzogen, der den Hauch einer großen Last vom Fortgang der Zeit zermahlener Menschenalter in die schwere, stickige Luft hinein atmete. Um die Spuren ihrer Stiefel stäubte er in trägen, grießig grauen Wolken hoch, die nur müde wieder dem Boden zuschweben wollten. Andere Füße hatten vor ihnen den abgelagerten Firn der Zeit aufgerührt. Sie hatten weite und verwischte Bahnen hinterlassen – und einige klarer umgrenzte Spuren, die alle in eine Richtung führten.
„Dorthin“, rief die Kutte und wies einen der ihren an, ihren Weg mit in den Boden gekratzten Zeichen zu markieren, damit sie in diesem Irrgarten wieder den Weg hinaus fanden.
Auric bildete weiterhin mit Kelam und der Kutte „Anander“ die Spitze. Seine Blicke ringsumher zeigten ihm eine wuchernd verzweigte, gemauerte Welt, welche seine Neugier als klirrende Befangenheit auf ihn selbst zurückschleuderte, welche die Botschaft von Abgrund und Alter in das Mark seiner Knochen schrieb. Nichts von der Formensprache dieser Unterwelt konnte er aus seiner Erinnerung der mannigfaltigen Schichten von Stilen, die er im heutigen Idirium gesehen hatte, wiedererkennen. Dies alles schien damit verglichen urtümlich karger, archaischer, elementarer. Senkrechte, Waagerechte, Dreiecksformen in Säulenbasen und Säulenköpfen – ein Zeitalter vor der Erfindung der Statik des Bogenbaus. Gedrungene Formen, Kantigkeit, verschachtelte Fluchten, schlicht, schmucklos aber erstaunlich weitläufig, kündeten von einer unbeirrbaren Beharrlichkeit, die dieser späten Welt verloren gegangen war.
Nach kurzer Passage durch diese unterirdischen Gänge und Kammern gelangten sie in einen Bereich, der wiederum einer weiteren Epoche zu entstammen schien. Die Räume waren hier höher, verloren aber ihre enorme Ausdehnung. Sie erinnerten wieder mehr an gewöhnliche verfallene Kellerräume unter alten Ruinen. Nicht nur die eigentümlichen Flammenkugeln, auch gewöhnliche Fackeln erhellten hier die Umgebung.
„Was geht hier unten vor? Diese ganze Beleuchtung wird doch nicht nur für ein Attentat auf mich angelegt worden sein.“
Die Kutte blieb Kelam eine Antwort schuldig, wies auf den Boden, wo die Spuren sich auffächerten und durcheinander liefen.
„Meinst du nicht, dieser Kerl mit den zwei Schwertern ist längst mit den anderen, die mit ihm geflohen sind, in den Tiefen
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