Der Keil des Himmels
Höhle, doch sein Blick war hohl und erschüttert, wie der eines Gespenstes.
Auric sah kaum, wer dem Befehl des Generals nachkam. Er selber war ihm schon aus eigenem Antrieb, wie aus einem Reflex gefolgt, in die Kammer gestürzt, wo er den Kyprophraigen gesehen hatte. Ein Reflex, der jeden gesunden Menschenverstand außer Kraft setzte. Man verfolgte keinen Kyprophraigen, man floh vor ihm. Jede Faser Vernunft forderte, dass man so schnell und so weit wie möglich vor ihm flüchtete. Das wusste er, während er dem bizarren Schatten der Gestalt hinterher jagte, dabei spürte, dass ihm andere knapp auf den Fersen folgten. Dennoch wisperte eine andere Stimme in seinem Verstand zu ihm. Der Kyprophraig floh, flüsterte sie. Hätte er es noch auf einen Kampf abgesehen, dann hätten sie kaum eine Chance gehabt. Aber er floh. Es war eine Kraft, die bloße Neugier überstieg, die ihn antrieb, entgegen seinem Fluchtinstinkt diesem unmenschlichem Todesbringer hinterher zu jagen. Hier unten geht mehr vor, hatte Kelam gesagt. Er wollte wissen, was. Und der Kyprophraig wollte es verschleiern. Versuchte er deshalb ihren Blicken zu entkommen? Hatte er bewusst seine Waffe, den Homunkulus, als er erkannte, dass dieser unausweichlich fallen musste, zerstört? Oder war das ein nicht beabsichtigter Nebeneffekt bei der Vernichtung seiner Feinde?
Konnte ein Mensch überhaupt die Motivationen einer solch fremdartigen Kreatur verstehen?
Hatte dieser Kyprophraig schon immer hier unten in den Katakomben beim Siegel des Kraístophreneacs gehaust? War das die Quelle all der unheimlichen Sagen und Gerüchte?
Er stoppte an einem Kreuzungspunkt, und Kelam lief in ihn hinein, konnte gerade noch das Schwert hochreißen, bevor er ihn damit hätte verletzen können. Ein halbes Dutzend Kutten sahen sie ihnen durch den Tunnel folgen. Kelam und Auric blickten einander an, spähten in die Abzweigungen. Auric sah das verhuschte Zucken von Spinnengliedern.
„Da hin!“
Eine weitläufige, verschachtelte Halle öffnete sich vor ihnen. Nach den engen Tunneln ließ ihre Ausdehnung Auric zunächst zurückschrecken. Weite Treppenstufen führten hinab, weitere Treppen führten an den Seiten hoch zu anderen Ebenen und Bereichen. Zu einer Seite hin nahm eine gigantische Wölbung den Platz einer gewöhnlichen Decke ein.
Dort unten, zwischen zackig empor ragenden Mauerresten sah er den Kyprophraigen. Und er sah zwei weitere Wesen, die er nicht identifizieren konnte. Bleich, kompakt und bepanzert liefen sie vor dem sie überragenden Kyprophraigen her.
Als Auric an der Seite von Kelam die Stufen hinab stürmte, spürte er in sich das Schleifen eines untergründigen Sogs. Es war wie etwas Frisches, Knisterndes, wie ein Feuer, das gerade noch gebrannt hatte. Es traf ihn etwas, als sei er in ein Gewebe starker Strömungen geraten. Nichts Greifbares, eine Anmutung. So wie damals auf der Treppenflucht, die zum Gebäude im Saikranon führte, unter dem der Kyprophraig gehaust hatte, oder noch früher in den Jungtrupps, als sie im Norden auf die Nichtmenschenfestung gestoßen waren. Wie in Strömen von Wispern, die durch ihn hindurch gingen. Und die man nur in solchen Momenten wahrnahm. Und ihm war, indem er den Fuß der Treppe erreichte, als trete er in das Dröhnen eines gewaltigen Herzens ein. Die Kutten, die ihnen gefolgt waren, schlossen um sie herum auf, „Anander“ unter ihnen.
„Dort entlang“, wies Kelam. „Dort haben wir ihn vom Kopf der Treppe her fliehen sehen.“
Eine unterirdische Szenerie sauste im Laufen an ihnen vorbei, die sie zu anderer Gelegenheit mit Staunen erfüllt hätte, Mauerstümpfe, Säulen, Ebenen, Durchbrüche. Ein steinern lastender Himmel, teils imposantes Gewölbe, teils inverser, drohender Kuppelausschnitt. Sie sahen immer wieder das Huschen von Bewegung vor sich, dem sie folgen konnten, bekamen aber keinen klaren Blick mehr auf die Gestalt des Kyprophraigen zu fassen. Die ursprüngliche Weite der Kavernen schrumpfte zu einem Spalt, einer enormen Kluft, die sich über ihnen ins Unsichtbare verengte. Eine massige, glatte, sich ausbuchtende Steinwand hier, Ausblicke in zersplitterte Raumfluchten dort keilten sie von beiden Seiten mit dem schweren Drängen ihrer Last ein.
Als sie den Kyprophraigen dann wieder zu Gesicht bekamen, traf es sie wie ein Schock. Ein letzter Durchbruch in der sich verengenden Kluft, ein eingebrochener Mauerbogen, der Raum der Kluft dahinter nur mehr ein Riss.
Da war der Kyprophraig, da waren
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