Der Keim des Verderbens
ohne Rücksicht darauf, daß seine Hände naß waren. »Können wir uns ein bisschen hinsetzen und reden?« sagte er. Sein Gesicht, sein Körper waren ganz dicht an meinem. »Ich muss bald wieder los.«
»Und dann?«
»Morgen früh spreche ich mit Marino, und nachmittags bekomme ich einen weiteren Fall rein. Aus Arizona. Ich weiß, es ist Sonntag, aber das kann nun mal nicht warten.«
Er redete weiter, während wir mit unseren Weingläsern ins Wohnzimmer gingen.
»Ein zwölfjähriges Mädchen, das auf dem Heimweg von der Schule entführt wurde. Ihre Leiche wurde in der Sonora-Wüste aufgefunden«, sagte er. »Wir glauben, daß der Täter bereits drei andere Kinder umgebracht hat.«
»Da kann man leicht die Hoffnung verlieren, nicht wahr?« sagte ich bitter, als wir uns auf die Couch setzten. »Es nimmt einfach kein Ende.«
»Allerdings«, erwiderte er. »Und ich fürchte, das wird es auch nicht, solange es Menschen auf Erden gibt. Was fängst du mit dem Rest des Wochenendes an?«
»Papierkram erledigen.«
Eine Wand meines Wohnzimmers bestand aus Glasschiebetüren, und dahinter herrschte schwarze Nacht, bis auf den Vollmond, der aussah, als wäre er aus purem Gold. Hauchdünne Wolkenschleier schwebten vorüber.
»Warum bist du so wütend auf mich?« Seine Stimme war sanft, aber er ließ mich spüren, wie verletzt er war.
»Ich weiß es nicht.« Ich vermied es, ihn anzusehen.
»Doch, du weißt es.« Er nahm meine Hand und begann, sie mit seinem Daumen zu massieren. »Ich liebe deine Hände. Sie sehen aus wie die einer Pianistin, nur kräftiger. Als wäre das, was du machst, Kunst.«
»Ist es auch«, sagte ich. Er sprach oft über meine Hände. »Ich glaube fast, du bist ein Handfetischist. Das sollte dir als Profiler zu denken geben.«
Er lachte und küßte meine Knöchel, meine Finger, wie er es oft tat. »Glaub mir, es sind nicht nur deine Hände.«
»Benton.« Ich sah ihn an. »Ich bin wütend auf dich, weil du mein Leben kaputtmachst.«
Zutiefst erschrocken, wurde er ganz still.
Ich erhob mich von der Couch und begann, auf und ab zu gehen. »Ich hatte mein Leben genau so eingerichtet, wie ich es haben wollte«, sagte ich, während heftige Gefühle in mir aufwallten. »Mein neues Büro ist im Bau. Ja, ich habe mein Geld gut angelegt, habe so klug investiert, daß ich mir das hier leisten kann.« Ich machte eine ausladende Geste. »Mein eigenes Haus, das ich selbst entworfen habe. Alles war so, wie es sein sollte, bis du ...«
»War es das wirklich?« Er sah mich eindringlich an, und in seiner Stimme lagen Schmerz und Wut. »Hat es dir besser gefallen, als ich noch verheiratet war und wir uns immer mies dabei fühlten? Als wir noch eine Affäre hatten und immer lügen mußten?«
»Natürlich nicht!« rief ich aus. »Es gefiel mir nur, daß mein Leben mir gehörte.«
»Dein Problem ist, daß du Angst hast, dich zu binden. Das ist der springende Punkt. Wie oft muss ich dir das noch vorbeten? Ich glaube, du solltest mal eine Therapie machen. Wirklich. Vielleicht bei Dr. Zenner. Ihr seid doch befreundet. Ich weiß, daß du ihr vertraust.«
»Ich bin nicht diejenige, die einen Psychiater braucht.«
Kaum hatte ich das gesagt, bereute ich es auch schon.
Er stand wütend auf, als wolle er gehen. Es war noch nicht mal neun Uhr.
»Herrgott, ich bin zu alt und zu müde für so etwas«, murmelte ich. »Benton, es tut mir leid. Das war nicht fair. Bitte setz dich wieder hin.«
Doch er blieb vor den Glasschiebetüren stehen und kehrte mir den Rücken zu.
»Ich will dir nicht weh tun, Kay«, sagte er. »Ich komme schließlich nicht mit dem Ziel hierher, dir dein Leben zu versauen. Ich bewundere, was du leistest. Ich wünschte bloß, du würdest mir eine Chance geben, stärker an deinem Leben teilzuhaben.«
»Ich weiß. Tut mir leid. Bitte geh nicht.«
Blinzelnd kämpfte ich mit den Tränen. Ich setzte mich und starrte an die Decke mit den freiliegenden Balken und den Maurerkellenabdrücken im Putz. Wo ich auch hinschaute, sah ich Details, die von mir stammten. Einen Moment lang schloss ich die Augen, und Tränen liefen mir übers Gesicht.
Ich wischte sie nicht ab. Wesley wusste genau, wann es besser war, mich nicht zu berühren. Er wusste auch, wann es besser war, nichts zu sagen. Schweigend saß er neben mir.
»Ich bin eine Frau mittleren Alters, die ihre eingefahrenen Lebensgewohnheiten hat«, sagte ich mit zittriger Stimme.
»Ich kann's nun mal nicht ändern. Alles, was ich habe, ist das, was ich
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