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Der Keim des Verderbens

Der Keim des Verderbens

Titel: Der Keim des Verderbens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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Glasfasersensoren. Diese waren über ein Kabel mit dem leistungsstarken Zentralrechner verbunden, in den Lucy etwas eingegeben hatte. Als nächstes nahm sie einen Monitorhelm, der ebenfalls an einem Kabel hing, und mein Herz machte vor Angst einen Sprung, als sie damit auf mich zukam.
    »Das ist ein VPL Eyephone HRX«, sagte sie gutgelaunt. »Wird auch im Ames Research Center der NASA benutzt. Da habe ich ihn entdeckt.« Sie kontrollierte den Sitz der Kabel und Gurte. »350.000 Farbelemente. Extrem hohe Auflösung und ein besonders großes Gesichtsfeld.«
    Sie setzte mir den Helm auf den Kopf. Er war schwer und bedeckte meine Augen.
    »Was du jetzt vor dir siehst, sind Flüssigkristall- oder LCD-Bildschirme, also ganz normale Monitore. Ein paar Glasplatten, Elektroden und Moleküle, die alle möglichen coolen Sachen anstellen. Wie fühlst du dich?«
    »Als würde ich gleich umfallen und ersticken ...«
    Ich war dabei, ähnlich in Panik zu geraten wie damals zu Beginn meines Tauchlehrgangs.
    »Du wirst keins von beidem tun.« Sie war sehr geduldig und stützte mich mit der Hand. »Entspann dich. Daß man anfangs in eine Art Angstzustand gerät, ist ganz normal. Ich sag' dir, was du machen mußt. Bleib einfach ruhig stehen und atme tief ein und aus. Ich schicke dich jetzt rein.«
    Sie rückte den Helm noch einmal zurecht, schnallte ihn fester und kehrte dann zum Zentralrechner zurück. Ich konnte nichts sehen, und meine Blindheit brachte mich aus dem Gleichgewicht.
    »Okay, los geht's«, sagte sie. »Ich weiß nicht, ob das etwas bringt, aber ein Versuch kann nicht schaden.«
    Tasten klackten, und ich wurde irgendwie in jenen Raum hineingeworfen. Sie erklärte mir, was ich mit den Händen machen musste, um mich vorwärts, schneller oder rückwärts zu bewegen, und wie ich etwas greifen und wieder loslassen konnte. Ich bewegte meinen Zeigefinger, tat so, als würde ich etwas anklicken, führte meinen Daumen an die Handfläche und fuhr mir mit dem Arm über die Brust. Mir brach der Schweiß aus. Gute fünf Minuten hing ich an der Decke und lief gegen Wände. Einmal stand ich auf dem Tisch mit dem Rumpf auf der blutigen, blauen Decke und trampelte auf den Beweismitteln und der Toten herum.
    »Ich glaube, ich muss mich gleich übergeben«, sagte ich.
    »Halt einfach eine Minute still«, sagte Lucy. »Atme tief durch.«
    Ich wollte noch etwas sagen und machte dabei eine Handbewegung, und prompt lag ich wie abgestürzt auf dem virtuellen Fußboden.
    »Deshalb hab' ich dir ja gesagt, du sollst stillhalten«, sagte sie, denn sie konnte auf den Monitoren sehen, was ich tat. »Jetzt beweg deine Hand zu dir hin und zeig mit Zeige- und Ringfinger in die Richtung, aus der du meine Stimme kommen hörst. Besser?«
    »Besser«, sagte ich.
    Nun stand ich aufrecht in dem Raum, als wäre das Foto plötzlich dreidimensional und stark vergrößert zum Leben erwacht. Ich schaute mich um und sah eigentlich nichts, was mir nicht schon aufgefallen war, als Vander das Bild bearbeitet hatte. Doch die Empfindungen, die es jetzt in mir auslöste, veränderten meine Wahrnehmung.
    Die Wände waren hellgrau und wiesen schwache Verfärbungen auf, die ich bisher Wasserschäden zugeschrieben hatte, wie sie in einem Keller oder einer Garage vorkommen können. Aber jetzt wirkten sie anders, gleichmäßiger verteilt, einige so blaß, daß ich sie kaum erkennen konnte. Diese hellgrauen Wände waren früher einmal tapeziert gewesen. Die Tapeten waren entfernt, aber nicht ersetzt worden, ebenso wie die Gardinenstange und die Schabracke davor. Über einem Fenster mit einer geschlossenen Jalousie befanden sich kleine Löcher, in denen einmal Träger gesteckt hatten.
    »Hier ist es nicht passiert«, sagte ich, und mein Herz schlug schneller.
    Lucy schwieg.
    »Sie wurde nach der Tat hierhergebracht und fotografiert.
    Aber ermordet und zerstückelt wurde sie hier nicht.« »Was siehst du?« fragte sie.
    Ich bewegte meine Hand und ging näher an den virtuellen Tisch heran. Ich deutete auf die virtuellen Wände, um Lucy zu zeigen, was ich sah. »Wo soll er denn die Autopsiesäge angeschlossen haben?« fragte ich.
    Ich konnte nur eine Steckdose finden, und die befand sich am unteren Ende einer Wand.
    »Und die Abdeckplane soll auch von hier stammen?« fuhr ich fort. »Das paßt nicht ins Bild. Keine Farbe, keine Werkzeuge.«
    Ich schaute mich weiter um. »Und sieh dir den Fußboden an. Das Holz ist an den Seiten heller, als hätte hier einmal ein Teppich gelegen. Wer

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