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Der Keim des Verderbens

Der Keim des Verderbens

Titel: Der Keim des Verderbens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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legt einen Teppich in eine Werkstatt, tapeziert oder bringt Gardinen an? Wo sind die Steckdosen für die elektrischen Werkzeuge?«
    »Wie wirkt es denn auf dich?« fragte sie.
    »Auf mich wirkt es so, als sei dies ein Raum in einem Wohnhaus, aus dem die Möbel entfernt wurden. Abgesehen von einer Art Tisch, der mit etwas bedeckt ist. Vielleicht einem Duschvorhang. Ich weiß nicht. Mir kommt es jedenfalls vor wie ein Wohnraum.«
    Ich streckte die Hand aus und versuchte, den Rand des Tischtuchs zu berühren, als könnte ich es anheben und enthüllen, was sich darunter befand, und als ich mich umschaute, sah ich ein paar Einzelheiten plötzlich so deutlich, daß ich mich fragte, wie ich sie bis dahin hatte übersehen können. An der Decke direkt über dem Tisch lagen Kabel frei, als ob dort einmal ein Kronleuchter oder eine andere Lampe gehangen hätte.
    »Nehme ich Farben anders wahr als sonst?« fragte ich.
    »Eigentlich nicht.«
    »Dann ist da noch etwas. Diese Wände.« Ich berührte sie.
    »Die Farbe wird in diese Richtung heller. Da ist eine Öffnung.
    Vielleicht eine Tür, durch die Licht dringt.«
    »Auf dem Foto sieht man keine Tür«, erinnerte Lucy mich.
    »Du kannst nur das sehen, was auch da ist.«
    Es war seltsam, aber einen Moment lang glaubte ich, ich könnte ihr Blut riechen, den Gestank verwesenden Fleisches, das schon seit Tagen tot war. Die teigige Beschaffenheit ihrer Haut fiel mir wieder ein, und der merkwürdige Ausschlag, der mich auf den Gedanken gebracht hatte, sie hätte vielleicht Gürtelrose.
    »Sie war kein zufällig gewähltes Opfer«, sagte ich.
    »Die anderen schon.«
    »Die anderen Fälle haben mit diesem nichts zu tun. Ich sehe plötzlich doppelt. Kannst du das korrigieren?«
    »Das ist die typische vertikale Bildverschiebung.«
    Dann spürte ich ihre Hand auf meinem Arm.
    »Das geht normalerweise nach fünfzehn bis zwanzig Minuten wieder weg«, sagte sie. »Wir sollten mal eine Pause machen.«
    »Ich fühl' mich nicht besonders.«
    »Mangelhafte Bildausrichtung. Überanstrengung der Augen, Simulationsschwindel, Cyberkrankheit, nenn es, wie du willst«, sagte sie. »Verursacht Sehstörungen, tränende Augen, sogar Übelkeit.«
    Ich musste dringend den Helm loswerden, doch bevor ich mir die LCD-Bildschirme von den Augen gezerrt hatte, lag ich schon wieder auf dem Tisch, mit dem Gesicht im Blut.
    Meine Hände zitterten, als Lucy mir half, den Handschuh auszuziehen. Ich setzte mich auf den Boden.
    »Alles in Ordnung?« fragte sie besorgt.
    »Das war entsetzlich«, sagte ich.
    »Dann war es gut.« Sie legte den Helm und den Handschuh auf einen Tisch zurück. »Du bist in den Kosmos eingetaucht. So sollte es sein.«
    Sie reichte mir ein paar Papiertücher, und ich wischte mir das Gesicht ab.
    »Was ist mit dem anderen Foto? Willst du das auch noch machen?« fragte sie. »Das mit den Händen und Füßen?«
    »Danke, ich hab' genug von diesem Raum«, sagte ich.

Kapitel 8
    Noch auf dem Heimweg verfolgten mich die schaurigen Eindrücke aus Lucys Labor. Den größten Teil meines Berufslebens hatte ich damit verbracht, Tatorte zu besuchen, aber noch nie hatte einer mich heimgesucht. Das Gefühl, mich in diesem Foto zu befinden, die Illusion, ich könnte riechen und spüren, was von jenem Leichnam übrig war, hatte mich zutiefst erschüttert. Als ich in meine Garage fuhr, war es beinahe Mitternacht. Hastig schloss ich die Haustür auf. Drinnen stellte ich die Alarmanlage aus und gleich wieder an, nachdem ich die Tür abgeschlossen hatte. Ich sah mich um, um mich zu vergewissern, daß alles genauso war, wie ich es verlassen hatte.
    Ich machte Feuer, goß mir einen Drink ein und sehnte mich wieder einmal nach einer Zigarette. Um nicht so allein zu sein, legte ich Musik auf. Dann ging ich in mein Arbeitszimmer, um nachzusehen, was mich dort erwarten mochte. Ich hatte mehrere Faxe bekommen, Nachrichten auf dem Anrufbeantworter und eine weitere E-Mail. Alles, was deadoc diesmal zu sagen hatte, war ein erneutes: sie halten sich wohl für sehr schlau. Ich war gerade dabei, die Nachricht auszudrucken und mich zu fragen, ob die Squad 19 wohl schon davon wusste, als mich das Klingeln des Telefons aufschreckte.
    »Hi«, sagte Wesley. »Ich wollte mich nur vergewissern, daß du gut nach Haus gekommen bist.«
    »Ich habe wieder eine Mail gekriegt«, sagte ich und las sie ihm vor.
    »Speicher sie ab und geh ins Bett.«
    »Es ist schwer, nicht daran zu denken.«
    »Das will er ja, daß du die ganze Nacht

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