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Der Keim des Verderbens

Der Keim des Verderbens

Titel: Der Keim des Verderbens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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für einen Vierteldollar ihre Rezepte kauften. Ob sie wohl ein Auge darauf gehabt hatte, daß sie auch wirklich bezahlten? Die Fliegentür war nicht abgeschlossen, und Hoyt war so umsichtig gewesen, ein handgemaltes Schild mit der Warnung Betreten verboten! Ansteckungsgefahr! daran zu befestigen. Ich betrat den schummrigen Hausflur, wo ein Porträt des zu seinem Vater betenden Jesus an der Wand hing, und der faulige Geruch verwesenden menschlichen Fleisches stieg mir in die Nase.
    Im Wohnzimmer wies einiges darauf hin, daß hier schon länger jemand krank gewesen war. Verdreckte Kissen und Decken lagen unordentlich auf dem Sofa, und auf dem Couchtisch entdeckte ich Papiertaschentücher, ein Thermometer, Aspirinfläschchen, Rheumasalbe sowie schmutzige Tassen und Teller. Sie hatte Fieber gehabt. Sie hatte Schmerzen gehabt und war in dieses Zimmer gegangen, um es sich gemütlich zu machen und fernzusehen.
    Irgendwann war sie nicht mehr in der Lage gewesen, das Bett zu verlassen, und dort fand ich sie, im oberen Stockwerk, in einem Raum mit Rosenknospentapeten und einem Schaukelstuhl neben dem Fenster, von dem aus man einen Blick auf die Straße hatte. Der Ankleidespiegel war mit einem Laken verhängt, als hätte sie den Anblick ihres Spiegelbildes nicht mehr ertragen können. Hoyt, ganz Arzt der alten Schule, hatte taktvollerweise eine Bettdecke über die Leiche gezogen, ansonsten aber nichts angerührt. Er wußte genau, daß er an einem Tatort nichts verändern durfte, besonders wenn ich noch nicht dortgewesen war. Ich stand in der Mitte des Raums und ließ die Umgebung auf mich wirken. Es war, als würde der Gestank den Raum verengen und die Luft schwarz werden lassen.
    Ich ließ meinen Blick über das billige Kamm-und-Bürste-Set auf dem Frisiertisch schweifen, über die plüschige, rosa Pantoffeln unter einem Stuhl voller Kleidungsstücke, die wegzuräumen oder zu waschen sie nicht mehr die Energie gehabt hatte. Auf dem Nachttisch lag eine Bibel mit einem vertrockneten, schuppigen schwarzen Ledereinband und eine Aromatherapie-Gesichtsspray-Probe von Vita, mit der sie, wie ich mir ausmalte, vergeblich versucht hatte, ihre vom verzehrenden Fieber erhitzte Haut zu kühlen. Auf dem Fußboden türmten sich Dutzende von Bestellkatalogen, in denen Eselsohren ihre Wünsche markierten.
    Auch der Spiegel über dem Waschbecken im Badezimmer war hinter einem Handtuch versteckt, und auf dem Linoleumboden lagen weitere, zum Teil blutverkrustete Handtücher. Das Toilettenpapier war ihr ausgegangen, und die Schachtel Natron auf dem Badewannenrand verriet, daß sie ihre Schmerzen mit einem Hausrezept zu lindern versucht hatte. Im Medizinschränkchen fand ich keine verschreibungspflichtigen Medikamente, nur alte Zahnseide, Hämorrhoidensalbe, Jergens-Lotion und Heilsalbe. Auf dem Waschbecken lagen in einer Plastikbox ihre dritten Zähne.
    Pruitt war alt und allein gewesen, hatte sehr wenig Geld gehabt und diese Insel wahrscheinlich nur selten in ihrem Leben verlassen. Ich hielt es für unwahrscheinlich, daß sie versucht hatte, Nachbarn um Hilfe zu bitten, denn sie besaß kein Telefon. Außerdem hatte sie bestimmt gefürchtet, daß diese bei ihrem Anblick vor Entsetzen die Flucht ergreifen würden.
    Selbst ich war nicht recht auf das vorbereitet, was ich vorfand, als ich vorsichtig die Decke beiseitezog.
    Sie war von grauen Pusteln, hart wie Perlen, übersät. Ihr zahnloser Mund war eingefallen und die rotgefärbten Haare wirr. Ich zog die Decke weiter zurück und knöpfte ihren Bademantel auf. Dabei stellte ich fest, daß der Ausschlag auf den Extremitäten und dem Gesicht großflächiger auftrat als auf ihrem Rumpf, genau wie Hoyt es gesagt hatte. Vor Juckreiz hatte sie sich die Arme und Beine aufgekratzt, und die blutenden Wunden hatten sich infiziert und waren verkrustet und geschwollen.
    »Gott im Himmel«, murmelte ich schmerzerfüllt.
    Ich konnte mir vorstellen, wie sie vor Fieber geglüht hatte, von Juckreiz und Schmerzen geplagt, und daß ihr vor ihrem eigenen, alptraumhaften Spiegelbild angst und bange gewesen war.
    »Wie furchtbar«, sagte ich, und plötzlich mußte ich an meine Mutter denken.
    Ich stach eine Pustel auf und machte einen Abstrich auf einen Objektträger, dann ging ich hinunter in die Küche und baute mein Mikroskop auf dem Tisch auf. Ich wußte bereits, was ich finden würde. Dies waren keine Windpocken. Es war auch keine Gürtelrose. Alles deutete auf eine verheerende, entstellende Krankheit namens

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