Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Keim des Verderbens

Der Keim des Verderbens

Titel: Der Keim des Verderbens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
Vom Netzwerk:
hinter sich hatte, als er die Leitung des USAMRIID übernahm. Er war geschieden und ein paar Jahre älter als ich. Er griff sich eine zusammengelegte Decke vom Fuß des Bettes, faltete sie auseinander und drapierte sie mir um die Schultern. Dann zog er einen Stuhl heran und setzte sich rittlings darauf, die Arme auf der Rückenlehne.
    »John, ich war dem Virus bereits vor zwei Wochen ausgesetzt«, sagte ich.
    »Im Zusammenhang mit diesem Mordfall.«
    »Ich müßte es mittlerweile haben.«
    »Was auch immer es ist. Den letzten Pockenfall gab es im Oktober 1977 in Somalia, Kay. Seitdem ist die Krankheit weltweit ausgerottet.«
    »Aber ich habe das Virus doch im Elektronenmikroskop gesehen. Vielleicht ist es auf unnatürlichem Wege übertragen worden.«
    »Absichtlich, meinen Sie.«
    »Ich weiß es nicht.« Ich konnte kaum noch die Augen offenhalten. »Aber finden Sie es nicht merkwürdig, daß die Person, die möglicherweise als erste infiziert wurde, auch noch ermordet worden ist?«
    »Ich finde das alles merkwürdig.« Er stand auf. »Aber wir können nicht viel mehr tun, als den Leichnam und Sie zu isolieren.«
    »Natürlich können Sie. Es gibt nichts, was Sie nicht tun könnten.« Seine Kompetenzstreitigkeiten mit anderen Behörden interessierten mich nicht.
    »Im Moment ist das eine zivile Angelegenheit, keine militärische. Wissen Sie, wir können den CDC so etwas nicht einfach vor der Nase wegschnappen. Schlimmstenfalls haben wir es hier mit dem Ausbruch irgendeiner Seuche zu tun. Und damit werden die am besten fertig.«
    »Tangier sollte unter Quarantäne gestellt werden.«
    »Darüber reden wir nach der Obduktion.«
    »Die ich gern durchführen würde«, fügte ich hinzu.
    »Mal abwarten, wie Sie sich morgen fühlen«, sagte er, als eine Krankenschwester in der Tür erschien.
    Auf dem Weg nach draußen sprach er kurz mit ihr, dann kam sie herein, auch sie in einem blauen Schutzanzug. Sie war jung und erklärte furchtbar gutgelaunt, daß sie eigentlich im Walter Reed Hospital arbeitete, hier jedoch aushalf, wenn Patienten in die Isolierstation eingeliefert wurden, was zum Glück nicht oft vorkam.
    »Das letztemal waren es zwei Laboranten, die mit halb aufgetautem Feldmausblut in Berührung gekommen waren. Das Blut war mit dem Hantavirus verseucht«, sagte sie. »Diese hämorrhagischen Krankheiten sind wirklich gefährlich. Die beiden waren bestimmt zwei Wochen hier. Dr. Fujitsubo hat gesagt, Sie möchten ein Telefon haben.« Sie legte einen dünnen Morgenmantel aufs Bett. »Darum kümmere ich mich später. Hier haben Sie ein paar Advil und Wasser.« Sie stellte beides auf den Nachttisch. »Haben Sie Hunger?«
    »Könnte ich vielleicht etwas Käse und ein paar Cracker bekommen?« Mein Magen war so überreizt, daß mir beinahe schlecht war.
    »Wie fühlen Sie sich, abgesehen von den Kopfschmerzen?«
    »Gut, danke.«
    »Nun ja, hoffen wir, daß es dabei bleibt. Gehen Sie doch einfach noch mal auf Toilette, machen Sie sich frisch und legen Sie sich ins Bett. Da ist der Fernseher.« Sie deutete mit dem Finger auf das Gerät. Sie redete mit mir, als ginge ich noch in die zweite Klasse.
    »Was ist mit meinen Sachen?«
    »Keine Sorge, die werden sterilisiert.« Sie lächelte mich an.
    Mir wollte einfach nicht warm werden, und so duschte ich noch einmal. Nichts konnte diesen grauenhaften Tag fortwaschen. Ich sah immer noch den eingefallenen, weitaufgerissenen Mund, halboffene, blinde Augen und einen Arm vor mir, der steif aus einem übelriechenden Totenbett hing. Als ich aus dem Badezimmer kam, hatte man mir einen Teller mit Käse und Crackern hingestellt, und der Fernseher lief.
    Ein Telefon suchte ich jedoch vergebens.
    »Verdammter Mist«, murmelte ich und schlüpfte wieder unter die Decke.
    Am nächsten Morgen erschien mein Frühstück in der Durchreiche. Mit dem Tablett auf dem Schoß sah ich mir die »Today«-Show an, wozu ich normalerweise nie Zeit hatte. Martha Stewart hob Eischnee unter irgend etwas, während ich in einem weichgekochten Ei herumstocherte, das nicht richtig warm war. Ich konnte nichts essen, und ich wußte nicht, ob mein Rücken schmerzte, weil ich müde war oder aus irgendeinem anderen Grund, mit dem ich mich lieber nicht näher befassen wollte.
    »Wie geht's uns denn heute morgen?« Die Schwester erschien, HEPA-gefilterte Luft atmend.
    »Wird Ihnen nicht zu heiß darin?« Ich deutete mit meiner Gabel auf ihren Schutzanzug.
    »Wenn ich den lange anbehalten würde, wohl schon.« Sie hatte ein

Weitere Kostenlose Bücher