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Der Keim des Verderbens

Der Keim des Verderbens

Titel: Der Keim des Verderbens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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Digitalthermometer dabei. »Also dann. Es dauert nur eine Minute.«
    Sie steckte mir das Thermometer in den Mund, während ich zum Fernseher hochsah. Gerade wurde ein Arzt zur diesjährigen Grippeimpfung befragt, und ich schloß die Augen, bis ein Piepen verkündete, daß die Zeit herum war.
    »Sechsunddreißig Komma sechs. Das ist eigentlich ein bißchen niedrig. Siebenunddreißig sind normal.«
    Sie wickelte mir eine Blutdruckmanschette um den Oberarm.
    »Und jetzt den Blutdruck.« Energisch betätigte sie den Blasebalg. »Einhundertacht zu siebzig. Sie sind ja so gut wie tot!«
    »Danke«, murmelte ich. »Ich brauche ein Telefon. Niemand weiß, wo ich bin.«
    »Was Sie brauchen, ist ganz viel Ruhe.« Jetzt holte sie das Stethoskop hervor und schob es vorn unter mein OP-Hemd.
    »Tief einatmen.« Wo sie es auch hinsetzte, fühlte es sich kalt an. Sie lauschte mit ernstem Gesicht. »Noch mal.« Dann wandte sie sich meinem Rücken zu, und wir fuhren mit der Übung fort.
    »Könnten Sie mir bitte Colonel Fujitsubo vorbeischicken?«
    »Ich gebe ihm auf jeden Fall Bescheid. Jetzt decken Sie sich zu.« Sie zog die Decke bis zu meinem Kinn hoch.
    »Ich werde Ihnen noch etwas Wasser holen. Wie geht es Ihren Kopfschmerzen?«
    »Gut«, log ich. »Sie müssen ihm unbedingt sagen, daß er vorbeikommen möchte.«
    »Ich bin sicher, das tut er, sobald er kann. Allerdings ist er sehr beschäftigt.«
    Ihre herablassende Art ging mir zunehmend auf die Nerven.
    »Hören Sie«, sagte ich in forderndem Ton, »ich habe schon mehrfach um ein Telefon gebeten. Ich komme mir hier langsam vor wie in einem Gefängnis.«
    »Sie wissen ja, wie man diese Station nennt«, flötete sie. »Und es ist nicht üblich, daß Patienten ein Telefon ...«
    »Es ist mir egal, was hier üblich ist.« Ich sah sie scharf an, und da änderte sich ihr Benehmen.
    »Beruhigen Sie sich doch«, sagte sie mit erhobener Stimme.
    Ihre Augen funkelten hinter dem durchsichtigen Plastik.
    »Ist sie nicht eine schreckliche Patientin? Aber das sind Ärzte ja immer«, sagte Colonel Fujitsubo, der plötzlich zur Tür hereinkam.
    Die Schwester sah ihn verblüfft an. Dann taxierte sie mich mit bösem Blick, als könne sie es einfach nicht glauben.
    »Das Telefon kommt gleich«, fuhr er fort und legte den frischen, orangefarbenen Anzug, den er mitgebracht hatte, auf das Fußende des Bettes. »Beth, hat man Sie schon mit Dr. Scarpetta bekannt gemacht? Sie ist Chief Medical Examiner von Virginia und beratende Gerichtsmedizinerin beim FBI.«
    Zu mir gewandt fügte er hinzu. »Ziehen Sie das an. Ich hole Sie in zwei Minuten ab.«
    Mit gerunzelter Stirn nahm die Schwester mir das Tablett ab.
    Sie räusperte sich verlegen.
    »Sie haben Ihre Eier ja gar nicht aufgegessen«, sagte sie.
    Sie stellte das Tablett in die Durchreiche. Ich war bereits damit beschäftigt, in meinen Anzug zu steigen.
    »Normalerweise lassen sie einen nicht aus dem Zimmer, wenn man erst mal hier ist.« Sie schloß die Durchreiche.
    »Das hier ist nicht normal.« Ich befestigte den Helm und schaltete das Gebläse ein. »Die Leiche, die heute morgen obduziert wird, ist mein Fall.«
    Sie gehörte offensichtlich zu der Sorte Schwestern, die mit Ärztinnen nicht klarkommen, weil sie Anweisungen lieber von Männern entgegennehmen. Oder vielleicht hatte sie ursprünglich selbst Ärztin werden wollen und sich dann aber einreden lassen, daß Mädchen, wenn sie groß sind, Krankenschwestern werden und Ärzte heiraten. Ich konnte nur spekulieren. Aber ich mußte daran denken, wie während meines Medizinstudiums an der Johns Hopkins University eines Tages die Oberschwester im Krankenhaus meinen Arm packte und mich haßerfüllt anzischte, ihr Sohn habe keinen Studienplatz bekommen, weil ich ihn ihm weggeschnappt hätte. Fujitsubo kam wieder herein, reichte mir lächelnd ein Telefon und stöpselte es ein.
    »Sie haben Zeit für einen Anruf.« Er hielt den Zeigefinger hoch. »Dann müssen wir los.«
    Ich rief Marino an.
    Die Isolierstation der Sicherheitsstufe 4 lag hinter einem normalen Labor, doch zwischen den beiden Bereichen bestanden himmelweite Unterschiede. Stufe 4 stand für den totalen Krieg zwischen Wissenschaft und Ebola, dem Hantavirus und unbekannten Krankheiten, für die es keine Heilung gab. Die Luft zirkulierte nur in eine Richtung, und es herrschte Unterdruck im Raum, damit keine hochinfektiösen Mikroorganismen in andere Teile des Gebäudes eindringen konnten.
    Bevor sie in unsere Körper oder in die

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